Was sind hochsensible Personen (HSP)?
Vielleicht hast du schon vom Thema Hochsensibilität gehört. Dr. Elaine Aron hat das Thema als eine der ersten Forscherinnen bekannt gemacht. Hochsensible Personen zeichnen sich dadurch aus, dass sie empfindlich in Bezug auf einen oder mehrere Sinne sind und über diese Sinne wie hören, schmecken, riechen oder fühlen besonders viel wahrnehmen. Sie bemerken kleinste Veränderungen in ihrer Umgebung und können beispielsweise leicht Emotionen von Gesichtern ablesen. Zudem haben sie eine stark ausgeprägte Empathie und können leicht die Perspektive von anderen Menschen einnehmen. Sie denken tief und intensiv nach und verknüpfen Informationen miteinander.
Hochsensible Menschen können schnell überreizt und gestresst sein, da das Nervensystem im Vergleich zu anderen mehr Zeit braucht, um wieder herunterzufahren – denn hochsensible Personen verarbeiten Außenreize tiefer als andere Menschen. Eine Überreizung entsteht durch externe Reize wie Lautstärke oder durch interne Reize, die du selbst kreierst, indem du zum Beispiel nachdenkst oder etwas nochmal fühlst. Circa eine von fünf Personen ist hochsensibel.
Was sind Scanner-Persönlichkeiten / High Sensation Seeker (HSS)?
Der Begriff Scanner-Persönlichkeiten geht auf Barbara Sher zurück, die nicht zum Thema geforscht hat, aber einige sehr populäre Bücher im deutschsprachigen Raum zum Thema veröffentlicht hat. Der wissenschaftliche Begriff dafür, den auch Dr. Elaine Aron und beispielsweise Marvin Zuckerman in ihren Studien nutzen, lautet High Sensation Seeker (HSS). Ein anderer umgangssprachlicher Begriff, der vielleicht etwas leichter verständlich ist und den ich daher auch gerne nutze, ist Multitalent.
Genau wie Hochsensibilität ist High Sensation Seeking ein Persönlichkeitsmerkmal. Nur 30 Prozent der Hochsensiblen sind zusätzlich High Sensation Seeker. Sie besitzen also alle Eigenschaften, die hochsensible Personen haben, die ich eben erwähnt habe. Zusätzlich verfügen sie über vier weitere Eigenschaften, die stark oder weniger stark ausgeprägt sein können:
- Sie suchen nach einem physischen Kick und Abenteuern.
- Sie möchten neue Erfahrungen sammeln und brauchen Veränderung und Erneuerung.
- Sie suchen Enthemmung (zum Beispiel in Form von Sex, Alkohol, anderen Drogen, exzessivem Shoppen etc.)
- Sie neigen dazu, sich schnell zu langweilen.
Was macht Menschen aus, die hochsensible High Sensation Seeker sind?
Eine sehr große Herausforderung für Menschen, die sich mit beidem identifizieren, ist, sich selbst zu verstehen und so zu akzeptieren, wie man ist. Es ist manchmal schwer, das eigene widersprüchliche Verhalten zu verstehen.
Auf der einen Seite sorgt zum Beispiel die HSS-Seite dafür, dass du vielleicht super begeistert bist und tausend Chancen und Möglichkeiten siehst. Du bist Feuer und Flamme. Auf der anderen Seite sorgt deine HSP-Seite dann auf einmal dafür, dass du ganz unsicher wirst und dir werden alle Risiken schlagartig bewusst.
Vielleicht liebst du es manchmal total, unter Menschen zu sein, und du gehst in den verschiedenen Begegnungen richtig auf, aber auf einmal wird es dir zu viel und du willst dich unter deiner Decke verkriechen und nur noch alleine sein. Generell bist du vielleicht sehr empathisch, aber wenn du überreizt bist, kann es sein, dass du dich ganz und gar nicht empathisch und sogar fies verhältst, so dass du dich hinterher selbst nicht mehr wiedererkennst.
Vielleicht wünschst du dir gerade unbedingt Abwechslung und möchtest etwas Neues erleben und wenn es dann soweit ist, bist du davon erschöpft und möchtest dich ausruhen.
Die hochsensible Seite und die Seite als Scanner-Persönlichkeit können dir also manchmal wie Gegensätze erscheinen, da du auf der einen Seite schnell überreizt bist und dir dann Ruhe und wenig Reize wünschst, und du auf der anderen Seite Reize suchst und sie unbedingt in deinem Leben brauchst, um glücklich zu sein.
Wenn du dich zu den hochsensible Scanner-Persönlichkeiten zählst, sind die Ratschläge, die hochsensiblen Personen gegeben werden, wie z.B. generell weniger Reize im Leben zu haben, in einigen Situationen eben genau nicht das Richtige – zu viel Rückzug würde dich unglücklich machen. Erlaube dir stattdessen, alle Anteile in dir wertzuschätzen und auszuleben. Der hochsensible Anteil, der viel Ruhe braucht, ist nur einer von ihnen.
Wie finde ich als hochsensible Scanner-Persönlichkeit den richtigen Beruf?
Dadurch, dass hochsensible Scanner-Persönlichkeiten in der Regel schneller gelangweilt sind und keine Routine mögen, ist es wichtig darauf zu achten, dass du einem Beruf nachgehst, der dich mental fordert und in dem du ein möglichst breites, vielseitiges Aufgabenspektrum bedienen kannst.
Achte darauf, dass beide Seiten beruflich Beachtung finden. Die hochsensible Seite in dir arbeitet gerne alleine an Dingen, hat Ruhe und kann tief über bestimmte Inhalte nachdenken. Dafür brauchst du Zeit und solltest nicht gestört werden.
Die Seite in dir, die Reize sucht, möchte hingegen etwas erleben, wünscht sich Aufregung und neue Erfahrungen. Dafür sind Events, Reisen, Interviews oder spannende Treffen beispielsweise genau das Richtige.
Finde zunächst heraus, was dich ausmacht, also welche deine spezifischen Bedürfnisse in Bezug auf deine hochsensible Seite und deine Seite als Scanner-Persönlichkeit sind.
Für viele hochsensible High Sensation Seeker ist es sehr wichtig, einer Arbeit nachzugehen, die für sie von Bedeutung ist und mit der sie etwas Gutes und Sinnvolles für diese Welt beitragen. Zudem brauchen sie oft viel Gestaltungsfreiraum und lieben es, auf die eine oder andere Art und Weise ihre Ideen und ihre Kreativität (wie auch immer sie aussieht) einzubringen.
Achtung: Eine Falle, in die du tappen könntest, ist der sogenannte Bore-Out. Das kann z.B. in Jobs passieren, die du nicht als sinnerfüllend empfindest oder in denen du immer wieder die gleichen Routinetätigkeiten erledigen musst. Es ist ein Unterschied, ob eine Arbeit nur quantitativ fordernd (viel zu viel zu tun) oder qualitativ anspruchsvoll (verschiedene Aufgaben, Detailwahrnehmung, Kreativität) ist. Als hochsensible Scannerpersönlichkeit rate ich dir, nach Jobs Ausschau zu halten, die dich qualitativ und nicht quantitativ herausfordern. Denn wenn du dauerhaft ein hohes Stresslevel hast, weil du zu viel machen musst, kann das auch in einem Burn-Out enden.
Hochsensible High Sensation Seeker stehen vor der Herausforderung, dass es in der Arbeitswelt inzwischen viele Spezialisierungen und Funktionsprofile gibt, Arbeitsprozesse durchstrukturiert sind und Unternehmen zum Teil hierarchisch aufgebaut sind. Ob sich ein:e hochsensible:r HSS auf der Arbeit langweilt und unterreizt ist, hängt am stärksten von seiner/ihrer Umgebung ab. Das bezieht sich auf den Ort, an dem du arbeitest (wo und wie du arbeitest) und auf die Menschen, denen du begegnest (wie sie sind, wie viele, wie häufig du sie triffst).
Du kannst dir selbst eine passende Umgebung schaffen, indem du zuerst beobachtest, wie es dir aktuell geht und was du dir wünschst. Wann fühlst du dich auf der Arbeit besonders erfüllt, glücklich und voll im Flow? Wann hast du wenig Energie und fühlst dich ausgelaugt und überarbeitet? In welchen Umgebungen warst du dann gerade oder in der letzten Zeit (z.B. in den letzten 2-3 Tagen)? Du könntest dir auch einen Monat lang eine Liste mit regelmäßigen Notizen machen und am Ende des Monats reflektieren, was dir auffällt.
Ein anderer Aspekt, über den du nachdenken kannst, ist folgender: Auf welche Menschen bist du oder warst du schonmal neidisch in Bezug auf ihren Job? Wenn du neidisch auf eine Arbeitssituation von jemandem bist, der zum Beispiel sehr viel im Home-Office arbeitet, ist das ein Zeichen dafür, dass du dir das auch wünschst.
Viele hochsensible Scanner-Persönlichkeiten machen sich selbständig oder haben in ihrem Angestelltenverhältnis so viel Freiheit, dass sie Inhalt und Aufgabe mitgestalten und formen können. So ist es möglich, die Tätigkeiten und Aufgabenbereiche immer wieder anzupassen und zu verändern, so dass Erneuerung und Veränderung entstehen, was für High Sensation Seeker ein sehr wichtiger Aspekt in ihrem beruflichen Leben ist.
Versuche also, bereits beim Lesen der Stellenanzeigen und spätestens im Vorstellungsgespräch herauszufinden, wie groß dein Gestaltungsfreiraum bezüglich der Aufgaben, der Entwicklungsmöglichkeiten und des Arbeitsumfeldes ist. Du kannst auch in deinem jetzigen Job bereits das Gespräch mit Vorgesetzten und Kolleg:innen suchen, wenn du z.B. unterfordert bist: Gibt es die Möglichkeit, neue Aufgaben zu übernehmen und dafür andere Aufgaben abzugeben? Oder besteht die Option, im Home-Office zu arbeiten, um einer Überreizung vorzubeugen?Eine beliebte Variante ist auch die Kombination aus Teilzeitjob und Selbständigkeit, um ein geregeltes Einkommen mit der Verfolgung eigener Projekte zu kombinieren.
Egal, wie genau das Berufsleben aussieht, das du dir erschaffst: Stehe ganz bewusst zu deiner Persönlichkeit und sorge für die Bedürfnisse aller Anteile – denn dann, wenn es dir gut geht, kannst du auch den besten Impact für andere erschaffen.
Über Jacqueline Knopp und ihr neues Buch »Her mit den Reizen! Oder: Warum hochsensible Multitalente Reize in ihrem Leben brauchen, um glücklich zu sein«
Jacqueline Knopp ist Autorin, Dozentin und Coach für hochsensible Multitalente. Zusammen mit ihrer Co-Autorin Saskia Klaaysen aus den Niederlanden hat sie »Her mit den Reizen!« herausgebracht, das ein allumfassendes Werk für hochsensible High Sensation Seeker darstellt. Für das Buch hat Saskia in den Niederlanden eine Studie mit 1200 hochsensiblen HSS durchgeführt, deren Ergebnisse, neben allen anderen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema, ihren Platz finden. Auf 376 Seiten erfährst du, was du über hochsensible Scanner-Persönlichkeiten wissen musst, um dich selbst noch besser zu verstehen und ein noch glücklicheres Leben zu führen.