Kommunikations- und Empathiefähigkeit sind kein „Nice to have“
Während die Belastung im Arbeitsalltag spürbar ist, zeigen Studien, wie tief das Kommunikationsproblem tatsächlich reicht:
- Rund 70 % aller Projekte scheitern an zwischenmenschlichen Schwierigkeiten (Standish Group).
- Mitarbeitende verbringen durchschnittlich 40 Stunden pro Jahr damit, Nachrichten zu entschlüsseln und zu interpretieren (Atlassian 2024)
- 40 bis 60 % aller Botschaften werden anders verstanden, als sie gemeint waren. Menschen reagieren auf etwas, das sie glauben, verstanden zu haben. Einer der größten Produktivitätskiller überhaupt.
Ein erheblicher Teil unserer Arbeitszeit fließt also nicht in die Arbeit selbst, sondern in die Reparatur von Missverständnissen und Konflikten.
Genau hier setzt die Gewaltfreie Kommunikation an.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Wozu Gewaltfreie Kommunikation (GFK) im Arbeitskontext?
GFK hat nichts mit „Schönreden“ zu tun. Sie ist eher ein sprachlicher Klarspüler als Weichspüler.
Mit GFK lernen wir Dinge, die die meisten von uns nicht automatisch mitbringen:
- Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu benennen, ohne andere zu beschuldigen, zu bewerten oder anzugreifen
- Erfolgreiche Bitten klar zu formulieren, ohne anderen zu drohen oder sie zu manipulieren
- Tragfähige Lösungen zu entwickeln, die die Anliegen aller berücksichtigen
- Auf integre Art und Weise Einfluss zu nehmen und in Hierarchien auf Augenhöhe Gespräche zu führen
- Vorwürfe, Kritik und Forderungen nicht persönlich zu nehmen
- In der Konfliktlösung für das eigene Anliegen einzustehen
- Eigene Grenzen und Erwartungen sozialverträglich transparent zu machen
- Feedback zu geben, das ehrlich, respektvoll und hilfreich ist
Statt in Vorwürfen, Rechtfertigungen oder Andeutungen hängen zu bleiben, unterstützt die Struktur der GFK dich dabei, vier Dinge auseinanderzuhalten:
- Was ist tatsächlich passiert? (Beobachtung)
- Welche Auswirkung hat das auf mich? (Gefühl)
- Was ist mir hier wichtig? (Bedürfnis)
- Was würde uns jetzt weiter bringen? (Bitte)
Das klingt einfach, ist aber im Arbeitsalltag ein echter Gamechanger. Viele Spannungen entstehen, weil niemand sagt, was eigentlich los ist oder es so sagt, dass die andere Seite dicht macht.
Im Arbeitskontext ist GFK deshalb hilfreich, weil sie:
- Leicht zu verstehen ist
- Missverständnisse reduziert
- Zeit spart
- Verbindlichkeit schafft
- Konflikte entgiftet und Spannungen handhabbar macht
- Führung erleichtert
- Teamarbeit und Kundenkommunikation effektiver macht
Besonders Führungskräfte profitieren: Sie sind ständig in Spannungsfeldern zwischen Unternehmenszielen und individuellen Bedürfnissen, zwischen Zeitdruck und Beziehungspflege, zwischen „Ich muss entscheiden“ und „Ich will beteiligen“ unterwegs.
Mit GFK verstehen sie Mitarbeitende leichter, können auf Einwände eingehen, ohne ihren Standpunkt aufzugeben oder in die Rechtfertigungsfalle zu tappen. Zudem gewinnen sie an natürlicher Autorität, gestalten effizientere Besprechungen, fördern interne Kommunikation und beschleunigen Entscheidungen.
GFK bietet keinen Zaubertrick, aber einen klaren inneren Kompass. Sie macht nicht alles harmonisch, aber sie macht vieles besprechbar. Das ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige, gesunde Arbeitskultur.
Konkrete Beispiele aus dem Arbeitsalltag
Ich zeige dir hier zwei Beispiele mit Formulierungen, die du sofort nutzen kannst.
Situation 1: Schweigen aus falschem Harmonieverständnis
Du ärgerst dich über das Verhalten einer Kollegin. Sie hält sich nicht an Absprachen und antwortet auf Mails spät oder gar nicht. Du sagst nichts, aus Sorge, die Kollegin könnte sich angegriffen fühlen.
Typische innere Reaktion: „Die ist einfach rücksichtslos.“ oder „Immer muss ich der hinterherrennen.“, „Wegen der krieg ich voll Stress.“
GFK-Alternative 1:
Du nimmst eine aktuelle Situation zum Anlass und sprichst diese an.
Dazu übersetzt du deine inneren Urteile in Gefühle (z. B. nervös …) und Bedürfnisse (Planbarkeit, Selbstbestimmung ...) und benennst die auslösende Situation wertfrei. Du endest mit einer Frage oder einem Vorschlag. Das könnte z. B. so klingen:
„Am Montag hatten wir vereinbart, dass ich bis gestern die Zahlen von dir bekomme. Bei mir ist bisher nichts angekommen. Das macht mich nervös, weil ich bis Freitag die Auswertung fertig haben muss. Wenn ich die Zahlen heute nicht bekomme, schaffe ich das nicht mehr. Wie weit bist du?“
Was hier passiert: Kein Vorwurf, sondern Auswirkung. Statt stiller Resignation eine Rückfrage. Das gibt der Kollegin die Möglichkeit, zu reagieren, ohne sich verteidigen zu müssen.
GfK-Alternative 2:
Du sprichst die generelle Zusammenarbeit mit der Kollegin an.
Achtung, hier tappen wir leicht in die Falle der Verallgemeinerung! Vermeide unbedingt Worte wie immer, nie, ständig, andauernd. Benenne stattdessen konkrete Beispiele. Und spreche die Situation so schnell wie möglich an. Warte nicht, bis du vor Wut kochst.
„Ich habe dir in den letzten beiden Wochen vier Mails geschickt, die unser Projekt betreffen. Bisher ist noch keine Antwort bei mir angekommen. Ich wundere mich und bräuchte Klarheit. Würdest du mir bitte sagen, was los ist?“
Was hier passiert: Statt direkt deinen Frust bei deiner Kollegin loszuwerden, frage erst mal nach, wie ihre Seite aussieht. Damit seid ihr im Gespräch und könnt gemeinsam eine Lösung finden.
Situation 2: Vereinbarungen, die nicht eingehalten werden
Ein Team hat gemeinsam beschlossen, dass Protokolle binnen 24 Stunden nach Meetings verschickt werden. Immer wieder kommt es vor, dass es kein Protokoll gibt oder erst so spät, dass sich niemand mehr erinnern kann. Es gibt Diskussionen, Rechtfertigungen und Ärger – aber keine Veränderung.
Typische innere Reaktion: „Hier hält sich eh keiner an Absprachen!" oder: „Wir haben das doch vereinbart, also muss es auch gemacht werden!“
GfK-Alternative (im Teamgespräch):
„Wir hatten vereinbart, dass Protokolle nach 24 Stunden verschickt werden. In den letzten vier Wochen ist das dreimal nicht passiert. Mir ist wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können, weil das sonst zu Frust führt und gegenseitiges Vertrauen beschädigt. Können wir bitte gemeinsam schauen, woran es liegt? Ist die Vereinbarung realistisch oder brauchen wir eine andere Lösung?“
Was hier passiert: Kein persönlicher Vorwurf, sondern eine sachliche Beobachtung. Kein „Du“, sondern „Wir“. Und die Bereitschaft, die Vereinbarung zu hinterfragen. Das ermöglicht echte Verantwortung statt Rechtfertigung.
Gewaltfreie Kommunikation in Kurzform
Was ist bei mir los, und was brauche ich? Was ist bei dir los, und was brauchst du? Und was wäre eine gute Lösung für uns alle? Mit der GFK gehen wir weg von: „Ich will, dass du …“ hin zu „Wie können wir …?“ Dabei wechseln wir ab, zwischen aufrichtiger Selbstmitteilung und empathischem Zuhören.

Die fünf häufigsten Stolperfallen in der Anwendung
1. Bewertungen als Beobachtungen tarnen
„Du ignorierst mich!“ ist keine Beobachtung, sondern eine Interpretation. Eine echte Beobachtung ist konkret: „Auf drei meiner Mails habe ich bisher keine Antwort erhalten.“
Woran du den Fehler erkennst:
Sobald du meinst zu wissen, warum jemand etwas tut, bist du in deinen Gedanken und nicht mehr wertfrei unterwegs.
2. GFK als Manipulation missbrauchen
Sätze wie „Ich fühle mich manipuliert, weil mir Ehrlichkeit wichtig ist.“ klingen nach GFK, sind aber versteckte Vorwürfe.
Woran du den Fehler erkennst:
Du hoffst, dass das Gegenüber nachgibt, weil du „richtig“ kommuniziert hast. Oder du sagst „GFK-Sätze“, fühlst innerlich aber Wut oder Verachtung.
3. Gefühle mit Gedanken verwechseln
„Ich fühle mich ignoriert" ist kein Gefühl, sondern eine Interpretation. Ein Gefühl wäre z. B. frustriert oder unsicher. Der Unterschied ist entscheidend, denn nur echte Gefühle öffnen, Interpretationen erzeugen Abwehr.
Woran du den Fehler erkennst:
Immer wenn nach „Ich fühle mich..." ein Wort folgt, das eine Bewertung enthält (ignoriert, übergangen, nicht ernst genommen), bist du wieder dabei, Vorwürfe im Tarnmantel zu formulieren.
4. Bedürfnisse als Forderung formulieren
„Mir ist wichtig, dass du pünktlich bist" klingt nach Bedürfnis, ist aber eine Erwartung an eine konkrete Person. Ein echtes Bedürfnis wäre: „Mir ist Verlässlichkeit wichtig" unabhängig davon, wer es erfüllt. Wer Bedürfnisse als Forderungen formuliert, erzeugt Druck statt Dialog.
Woran du den Fehler erkennst:
Das Bedürfnis ist an eine Person oder eine konkrete Handlung gekoppelt. „Ich brauche, dass du..." ist fast immer eine Strategie, also ein Mittel zur Bedürfniserfüllung.
5: Zu viel reden und alles richtig machen wollen
Wer minutenlang seine Beobachtungen, Gefühle und Bedürfnisse ausbreitet, verliert jedes Gegenüber. GFK braucht Dialog, Pausen, Kontakt. Es geht nicht darum, die perfekte GFK-Formulierung abzuspulen, sondern um echten Austausch. Manchmal reicht ein einziger Satz.
Woran du den Fehler erkennst:
Du kriegst dein Gegenüber gar nicht mehr mit, weil du so konzentriert bist, alles „richtig“ zu sagen. Oder das Gegenüber wird unruhig, weil es nicht zu Wort kommt.
Warum es sich lohnt – eine ehrliche Bilanz
Du brauchst Übung, um aus automatisierten Sprachmustern auszusteigen. Du brauchst Mut, dich ehrlich und verletzlich zu zeigen und eigene Bedürfnisse zu benennen, statt sie hinter Vorwürfen zu verstecken. Und du brauchst die Bereitschaft, Verantwortung für deine eigene Kommunikation zu übernehmen, auch wenn das Gegenüber es nicht tut.
Einige der GFK-Tools, die wir in meinen Seminaren üben, erzeugen eine schnelle Wirkung. Aber Konflikte werden nicht in Minuten aufgelöst und Teamarbeit wird nicht von heute auf morgen harmonisch. Aber: GFK ist Beziehungsarbeit, die nachhaltig wirkt.
Teams, die ihre Kommunikation bewusst gestalten, verschwenden weniger Energie in Missverständnissen und Reibungsverlusten. Entscheidungen werden transparenter, Konflikte früher erkannt und geklärt und die Zusammenarbeit wird effizienter. Der vielleicht wichtigste Effekt: Menschen fühlen sich ernst genommen. Das steigert Motivation, Zugehörigkeit und Zufriedenheit und macht Unternehmen langfristig widerstandsfähiger.
GFK lohnt sich also. Nicht, weil sie Gespräche „schön“ macht, sondern weil sie Arbeit leichter, klarer und wirkungsvoller macht.
Über die Autorin

Offene Seminare für Interessierte findest du unter www.echt-sein.de.