Postwachstum: »Wirtschaftswachstum kann nicht mehr das Hauptziel sein«

Um die großen ökologischen und sozialen Probleme unserer Zeit zu meistern, braucht es neue Strategien und ein Umdenken in den Köpfen. Nach dieser Grundidee fördert das SMART CSOs Lab die Zusammenarbeit von Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Gründer Michael Narberhaus begleitet das Berlin SMART CSOs Lab in strategischen Fragen und der Durchführung von Workshops. Das aktuelle Projekt "The Numbers" spricht erstmals die Bevölkerung direkt an, denn für die Lösung der globalen Herausforderungen ist jeder einzelne gefragt.
Foto: © Michael Narberhaus
von Regina Rohland, 21. Dezember 2015 um 12:27

Das Kernthema Ihrer Arbeit bei SMART CSOs Lab ist ein systemischer Wandel auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene. Sie bezeichnen diesen Prozess als Große Transformation. Können Sie kurz erklären welcher Leitgedanke dahinter steht?

Michael Narberhaus: Eine Vielfalt an Experimenten, Ideen und Ansätzen wird gebraucht, um uns in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft zu bewegen. Es sollte nicht die eine Vision von Nachhaltigkeit geben, auf die wir uns einigen müssen. Je mehr die Zivilgesellschaft sich aber auf die wichtigen Kernwerte und Prinzipien einigt, desto stärker wird sie sich als Akteur für Transformation positionieren.

Die Große Transformation ist eine solche Grundrichtung, die die Konturen für den Weg zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft und Wirtschaft zeichnet (Raskin 2002). In ihrer Dimension ist die Große Transformation vergleichbar mit der Industriellen Revolution. Sie wird von uns verlangen, uns vom herrschenden Paradigma des Wirtschaftswachstums und dem vorherrschenden Konsumdenken zu lösen. Wir müssen stattdessen eine Kultur des Gemeinwohls entwickeln, die nicht auf materiellem Wachstum beruht. Die Große Transformation setzt voraus, dass wir uns von der Vorstellung lösen, das gegenwärtige Wirtschaftssystem sei in Stein gemeißelt. Es bleibt ein menschliches Konstrukt, das wir ändern können. Und das wir ändern müssen, wenn wir ernsthaft etwas gegen die globalen Krisen unternehmen wollen.

Welche Projekte wurden von SMART CSOs Lab in diesem Sinne bisher verwirklicht?

Narberhaus: Wir sehen uns selber nicht als Verwirklicher sondern als Ermöglicher (enabler), d.h. Smart CSOs versucht zu erreichen, dass Akteure und Organisationen der Zivilgesellschaft transformative(re) Strategien entwickeln und umsetzen. Dazu provozieren wir, kritisieren, geben Ideen und Beispiele, vernetzen Akteure, machen Publikationen etc..

Dieses Jahr ist das Projekt "The Numbers" angelaufen, das dazu anregt unser Verhältnis zu Geld und den Einfluss wirtschaftlicher Wertmaßstäbe zu überdenken. Ist dieses Projekt in Bezug auf die Große Transformation als Ansatz gedacht, um die Zivilgesellschaft anzusprechen?

Narberhaus: Bei diesem Projekt treten wir zum ersten Mal selber als Akteur auf. Primär wollen wir allerdings den teilnehmenden Organisationen dabei helfen, über systemische Themen (z.B. Marktgesellschaft) nach außen hin zu kommunizieren, in Dialog zu treten. Für viele der Organisationen, die bei dem Projekt mitmachen, ist dies Neuland. Primär soll dieser Film ein breiteres Publikum ansprechen, das sich zwar für Themen wie Klimawandel oder Armut interessiert, aber nicht unbedingt aktivistisch engagiert ist.

Mit dem Projekt werden Menschen ermutigt sich einzubringen und den gesellschaftlichen Wandel zu fördern. Wo kann ich als Einzelner anfangen?

Narberhaus: Zu allererst geht es darum Interesse zu wecken und in Dialog zu treten. Sich diese Fragen überhaupt zu stellen. Fragen die im öffentlichen Diskurs überhaupt nicht gestellt werden. Letztendlich geht es darum, dass mehr Menschen sich mit den zentralen Fragen, die für die Zukunft der Menschheit wichtig sind beschäftigen. Die Möglichkeiten, sich einzubringen sind vielfältig. Auf der Webseite zeigen wir einige Initiativen und Netzwerke auf, bei denen man sich einbringen kann.

In dem Kurzfilm des Projekts "The Numbers" wird die Message »A system that sees everything as money will never bring us to a humane and sustainable world« (dt. Ein System, in dem sich alles um Geld dreht, wird uns nie zu einer humanen und nachhaltigen Welt führen) kommuniziert. Inwiefern sehen Sie Geld als ein Problem in unserer Gesellschaft?

Narberhaus: Geld ist nur der sichtbare Teil des Problems. Das Hauptproblem, um das es geht, ist dass wir nicht hinterfragen, dass der Markt immer mehr zum Hauptinstrument zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wird. Was tut das mit uns? Was für ein Wertesystem wird dadurch gefördert. Wir ordnen uns als Gesellschaft dem Markt unter und merken nicht, was das mit uns macht.

Welche Wirkung haben Sie sich von dem Projekt erhofft und was davon ist bisher eingetreten?

Narberhaus: Zunächst wollten wir, dass NGOs aus dem Umwelt- und Entwicklungsbereich sich diesen Themen auch in der Öffentlichkeit stellen. Dies ist ein erster Erfolg, weil viele Organisationen mitgemacht haben. Zweitens gab es viele positive Reaktionen. Drittens glauben wir allerdings, dass im Dezember 2015 dieses Thema etwas schwer zu platzieren war. COP21, Terrorismus und Flüchtlingskrise sind in den (traditionellen und sozialen) Medien nicht so leicht mit dem In-Frage-Stellen der "Marktgesellschaft" zu verbinden. Es braucht wahrscheinlich ein aktuelles Thema, bei dem die Öffentlichkeit sowieso schon sensibilisiert ist, um eine richtige Debatte so richtig anzustoßen. So etwas wie Lehmann Brothers oder ähnlich...

Sind weitere Projekte geplant, um die Bevölkerung direkt anzusprechen?

Narberhaus: Im Augenblick nicht.

Bei Ihrer Arbeit im SMART COSs Lab geht es darum zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs) enger miteinander zu vernetzen und transdisziplinäre Lösungen und Zusammenarbeit anzustreben. In dem Kurzfilm "The Numbers" steckt auch eine Kritik an unserem Umgang mit humanitärer Hilfe. Was sollte sich Ihrer Vorstellung nach ändern, wenn Industriestaaten anderen, ärmeren Ländern helfen wollen?

Narberhaus: Zunächst geht es darum den Begriff "Entwicklung" stärker zu hinterfragen. Wirtschaftswachstum kann nicht mehr das Hauptziel sein, sondern es braucht einen anderen nachhaltigen Entwicklungspfad, bei dem es um Lebensqualität und die Befriedigung wirklicher Bedürfnisse geht. Es kann nicht um das Ziel Konsumgesellschaft gehen. Zweitens können die Ursachen von Armut und ungleicher Lebensverhältnisse nicht durch Geldtransfers behoben werden. Oft liegen die Ursachen gerade in der unfairen Einbindung von armen Ländern in die globalisierte Wirtschaft. Mehr davon kann nicht die Lösung sein. Es braucht andere Wirtschaftsmodelle und weniger Abhängigkeit von globalen Kapitalflüssen. Solidarische internationale Zusammenarbeit sollte solche kooperative regionalere Wirtschaftsmodelle fördern.

Sie arbeiten auch auf internationaler Ebene. Sehen Sie auch in anderen Ländern bereits einen Ansatz zum Umdenken und wie weit ist Entwicklung im Vergleich zu Deutschland?

Narberhaus: Das Umdenken findet in vielen Ländern statt. Es ist schwer zu sagen, wo mehr passiert. Viele der Netzwerke, in denen in Richtung eines radikaleren Wirtschaftswandel gedacht wird, sind ja international. Außerhalb der Nischen lässt sich sicherlich beobachten, dass die Mobilisierung der Bevölkerung in Deutschland vergleichsweise noch sehr gering ist. In Großbritannien gab es eine starke Mobilisierung bei der Wahl Corbyns, in den USA ist es Bernie Sanders, in Spanien Podemos etc.

Eine Mammut-Aufgabe steht hinter der Großen Transformation, was ist Ihre persönliche Motivation?

Narberhaus: Eine Mischung zwischen Sorgen wegen des Klimawandels, meiner Überzeugung, dass ein anderes Wirtschaftssystem möglich und besser wäre und Spaß an komplexen Aufgaben - systemisch die Dinge zusammenzudenken.

Wie weit glauben Sie kann sich die Welt in den nächsten Jahren im Sinne der Großen Transformation verändern?

Narberhaus: Es wird große Veränderungen geben. Die Frage ist nur in welche Richtung. Die Gefahr ist da, dass es immer mehr zur Abschottung der Reichen und der reichen Wirtschaftsländer kommt, dass Sicherheitsdenken unser Leben bestimmen wird, Migrationen noch weiter zunehmen etc. Es braucht ein Aufwachen der Zivilgesellschaft, um die Wurzeln anzugehen. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Wir arbeiten dran...

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