Aktive Vaterschaft in Beruf und Familie: »Paare gehen gleichberechtigt in den Kreißsaal und kommen als Familie der 60er Jahre wieder nach Hause.«

Was die Rollenverteilung in Familien angeht, hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht allzu viel verändert: Nach wie vor bleibt in vielen Familien die Mutter zu Hause (oder arbeitet maximal in Teilzeit), der Vater bringt das Geld nach Hause. Doch woran liegt es, dass selbst zuvor gleichberechtigte Paare nach der Geburt ihrer Kinder in veraltete Rollenmuster fallen? Wir haben uns mit Heiner Fischer, Gründer der Plattform Vaterwelten, auf Ursachenforschung begeben und zeigen, welche Wege es aus dem (scheinbaren) Dilemma zwischen Karriere und Familie gibt und wo Väter Unterstützung finden.
Foto © Simon Erath
von Charlotte Clarke, 12. November 2021 um 07:20

Du setzt dich mit deiner Online-Plattform Vaterwelten und deinen Tätigkeiten als Speaker, Coach und Berater für eine aktive Vaterschaft jenseits stereotyper Rollenklischees ein. Magst du den Begriff »aktive Vaterschaft« ein wenig mit Leben füllen? Was genau bedeutet das für dich?

Heiner Fischer: Um den Begriff der »Aktiven Vaterschaft« mit Leben zu füllen, braucht es zunächst eine Einordnung. Die Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit ist in unserer Gesellschaft noch immer stark geschlechtlich geprägt. Die Mutter managt den Haushalt, umsorgt die Kinder und geht höchstens in Teilzeit arbeiten. Der Vater ist für das Familieneinkommen zuständig, liest den Kindern abends etwas vor und spielt mit ihnen am Wochenende auf dem Spielplatz. Unsere Gesellschaft ist immer noch in einem Strukturkonservatismus vergangener Jahrzehnte gefangen.

In Vorträgen sage ich gerne: »Paare gehen gleichberechtigt in den Kreißsaal und kommen als Familie der 60er Jahre wieder nach Hause.« Damit Mütter nicht weiterhin die Hauptlast der Familienarbeit tragen und Väter hinter ihren eigenen Ansprüchen an eine familienaktive Rolle zurückbleiben, brauchen wir aktive Väter, die mehr sind als Familienernährer.

Aktive Väter sind vor allem an einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung in Familie und Beruf interessiert. Sie fühlen sich genauso verantwortlich für die Erziehung der Kinder wie die Mutter. Wichtig ist mir zu betonen, dass die Väter nicht »unterstützen«, sondern ihre Verantwortung selbstbewusst und selbstbestimmt wahrnehmen. Sie nehmen Elternzeit, um väterliche Kompetenzen zu erwerben und nicht, um sich handwerklich im Haus zu betätigen. Sie beteiligen sich stärker als andere Väter an der Kinderbetreuung und -versorgung, denken an Termine beim Kinderarzt oder der Kinderärztin, kennen die Geburtstage der Kinder, die Namen ihrer Freund*innen und nehmen sich Zeit für die Familie.


Die Rolle der Väter sah in den vergangenen Generationen oftmals anders aus. Die Rollenteilung hat doch super funktioniert, könnte man meinen. Doch welche Nachteile hat das traditionelle Familienmodell für Väter, Kinder und auch die Partner*innen?

Heiner: Die heutige Rollenteilung unterscheidet sich oftmals kaum von den vergangenen Generationen. Viele Väter konzentrieren sich auch heute noch auf ihre Berufstätigkeit, auch wenn sie andere Wünsche äußern. Gleichzeitig entstehen Spannungsfelder, die Konfliktpotenzial mitbringen. Väter sollen im Beruf flexibel und verfügbar sein, sich gegenüber kinderlosen Männern behaupten. Gleichzeitig sollen sie einfühlsame Partner und liebevolle Väter sein. Es entsteht ein Loyalitätskonflikt zwischen den Verpflichtungen im Beruf und in der Familie.

Aktive Vaterschaft hat nicht nur die Aufgabe, den Kindern väterliche Werte zu vermitteln, sie zu sicheren Menschen zu machen oder ihnen ein positives Vorbild zu sein. Es geht auch um die subjektive Auseinandersetzung der eigenen männlichen und väterlichen Rolle. Für viele bedeutet Vaterschaft eine Orientierungskrise, ein Aushandlungsprozess mit der eigenen Kindheit, der Prägung und den Eltern. Hier wird deutlich, wie wichtig die Rolle des Vaters in der Entwicklung der Kinder ist.

Involvierte Väter haben einen niedrigeren Testosteronspiegel und sind dadurch weniger gestresst. Sie erwerben Kompetenzen, übernehmen »Mental Load« (mentale Belastung, die vor allem durch die Organisation von Alltagsaufgaben entsteht und oft unsichtbar ist) und entlasten dadurch ihre Partner*innen in der Care Arbeit. Indem Väter mehr Zeit in der Familie verbringen, ermöglichen sie den Müttern den raschen Wiedereinstieg in den Beruf. Sie knüpfen nahtlos an ihre Karriere an und vermeiden die Teilzeitfalle, die bei einer Trennung häufig zur Altersarmut führt.

Letztendlich steigert väterliches Engagement die innere Zufriedenheit und das Selbstwertgefühl. Studien zeigen zudem, dass wenn die Partnerschaft ausgeglichen und harmonisch verläuft, auch die Kinder sicher und stabil gebunden sind.


Wie kann ein Rollentausch, z.B. Mama geht arbeiten, Papa bleibt zu Hause, Paaren dabei helfen, die Gefühle und Bedürfnisse des*der anderen besser zu verstehen?

Heiner: Traditionell sind Mütter für die alltägliche, unsichtbare Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie zuständig und kümmern sich um die Bedürfnisse aller Familienmitglieder. Wann hat das Kind den nächsten Kinderarzttermin? Was zieht es heute an? Passt die Kleidung noch? Haben wir schon Wintersachen? Wie heißen die Freund*innen? Der Kindergeburtstag muss organisiert werden und und und.... Väter sind für das Erwerbseinkommen zuständig und haben oft keine Ahnung, was im Alltag passiert und wie viele Entscheidungen getroffen werden müssen.

Woher sollen sie es auch wissen? Sie haben es nicht gelernt. Das soll keine Entschuldigung sein, sondern vielmehr eine Erklärung für die Traditionsfalle, in die viele Familien mit der Geburt der eigenen Kinder geraten. Indem Eltern nun diese traditionellen Rollen tauschen, kann gegenseitiges Verständnis für die als Stress empfundene Belastung entstehen. Väter erwerben neue Kompetenzen in der Organisation des Haushalts und in der Beziehungsgestaltung zu den Kindern. Sie erleben sich nicht mehr als Statist im eigenen Leben, sondern übernehmen Verantwortung für sich und andere.

Natürlich ist es ein Trugschluss zu glauben, dass echte Gleichberechtigung durch diesen Rollentausch gelingen kann. Vielmehr ist dies nur ein erforderlicher Zwischenschritt dahin.


Was sind deiner Meinung nach die Hauptursachen dafür, dass diese Art der Vaterschaft auch nach wie vor noch verhältnismäßig selten gelebt wird? Fehlt es den Vätern an positiven Rollenvorbildern, an Bewusstsein oder sind die Barrieren hauptsächlich in den Strukturen der Arbeitswelt zu finden?

Heiner: Die Gründe hierfür sind im individuellen Verhalten und in den strukturellen Verhältnissen zu finden. Es fehlen sichtbare Vorbilder, an denen sich Väter orientieren können. Auf Spielplätzen, in Eltern-Kind-Gruppen oder beim Elternabend sind vor allem Mütter anzutreffen. Sie tauschen sich aus und unterhalten sich über die Kinder. Väter sind samstags beim Bäcker sichtbar oder im Schwimmbad. In Gesprächen geht es um die Arbeitsbedingungen, Hobbies oder den letzten Urlaub. Sie sind überrascht, wenn ein Arbeitskollege auch Vater ist, von dem sie es nicht erwartet haben. Mütter tauschen sich auch im Beruf über Familienthemen aus, Väter nicht.

Müttern wird nach Rückkehr in den Beruf entweder gekündigt, eine Teilzeitstelle oder eine unqualifizierte neue Stelle angeboten. Vätern wird nahegelegt, keine Elternzeit zu nehmen oder nur die zwei »Vätermonate«; schließlich habe man ja eine Frau zu Hause, die auf die Kinder aufpasse. In den Köpfen der Menschen und in den Institutionen ist das traditionelle Rollenbild fest verankert. Eltern werden aufgrund ihrer Fürsorger*innenrolle diskriminiert und benachteiligt.

Es braucht also neue Vorbilder, ich nenne sie Komplizen, die aktive Vaterschaft und das neue Rollenbild unterstützen. Väter brauchen Netzwerke, in denen sie sich über ihre Vaterrolle, die eigene Prägung und Vorbilder austauschen. Sie müssen im Alltag sichtbarer werden – nicht nur in der Elternzeit, sondern darüber hinaus. In den Unternehmen brauchen wir Vorgesetzte, die Elternzeit nehmen und ihre Arbeitszeit reduzieren. Väterorientierte Personalpolitik kann das Verständnis für involvierte Väter steigern und eine neue Familienkultur etablieren.

Es ist nicht die Aufgabe der Frauen und Mütter, auf diesen Missstand hinzuweisen und dagegen anzukämpfen. Wir brauchen die Männer und Väter für echte Gleichberechtigung.


Der allergrößte Anteil der Teilzeitarbeitskräfte sind Frauen. Was kann ich als berufstätiger Vater tun, wenn ich meine Arbeitszeit reduzieren möchte, dies in meinem Unternehmen aber überhaupt nicht üblich ist. Mit welchen Argumenten oder Lösungsvorschlägen kann ich meinen Arbeitgeber überzeugen?

Heiner: Die Argumente liegen in Zeiten des Fachkräftemangels klar auf dem Tisch. Wenn das Unternehmen nicht bereit ist, flexibel auf meine Arbeitszeitwünsche zu reagieren, suche ich mir ein anderes Unternehmen, was mir echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht. Der Job kann doch gar nicht so wichtig sein, dass die ganze Familie darunter leidet. Väter müssen daher lernen, sich und ihre Karriereansprüche nicht zu wichtig zu nehmen, sondern gemeinsam mit der Familie als Team an Lösungen zu arbeiten.

Aber zuerst müssen sich die Väter selbst diese Frage beantworten: »Dreht sich die Familie um den Job oder dreht sich der Job um die Familie?« Die Erlaubnis, mehr Zeit für die Familie zu verbringen, müssen sich die Väter selbst geben. Mit großer Wahrscheinlichkeit stoßen sie bei ihren Partner*innen auf große Zustimmung. Natürlich rücken Fragen der Finanzierbarkeit in den Vordergrund, die gemeinsam besprochen werden müssen. Indem Väter einen Schritt zur Seite treten, ermöglichen sie den Müttern, einen beruflichen Schritt nach vorne zu gehen.

Ehrliche und aufrichtige Kommunikation ist hierbei das A und O. Sowohl in der Familie wie auch im Unternehmen. Oft hindern uns festgefahrene Glaubenssätze daran, an unserer Situation etwas zu verändern. Erst in einer Krise sind wir bereit, Dinge zu hinterfragen. Dabei lohnt es sich, präventiv vorzubeugen und miteinander im Kontakt zu bleiben. Fühlen wir uns wohl oder wollen wir etwas ändern?


Ein sehr häufig gehörtes Argument gegen Teilzeit: Doch was ist mit den Gehaltseinbußen, der Karriere, der Rente? Gibt es einen Weg aus diesem Dilemma?

Heiner: »Das muss man sich auch leisten können« höre ich oft, wenn es um Elternzeit geht. Diese Killerphrase kommt immer dann, wenn die Angst vor Nachteilen Überhand nimmt. Vermutlich sind die Väter noch nicht bereit, von ihrem Privileg etwas abzugeben. Dabei würden sie langfristig nur gewinnen. Das Einverdienermodell sorgt dafür, dass die finanzielle Belastung auf den Schultern einer Person liegt. Fällt diese Person durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit aus, fehlt das Einkommen. Die andere Person kann den Ausfall nicht ausgleichen, weil sie keiner Erwerbsarbeit nachgeht oder höchstens in Teilzeit arbeitet. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Verteilung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit ein Auslaufmodell ist, weil es soziale Ungleichheiten fördert. Trennen sich die Paare, rutschen vor allem Frauen in Altersarmut, weil sie nicht in die Rente eingezahlt haben.

Trotz guter Ausbildung und annähernd gleicher Bezahlung rutschen Paare in das traditionelle Rollenbild. Dann betreut die Mutter mit Masterabschluss die Kinder und kehrt höchstens in Teilzeit zurück. Weil der Mann nun Vater geworden ist, bekommt er eine Gehaltserhöhung und arbeitet weiterhin in Vollzeit. Viel besser wäre doch, wenn beide Eltern in Teilzeit arbeiten und sich die Betreuung der Kinder aufteilen. Wenn ein Elternteil 30 Stunden und der andere 20 Stunden arbeitet, verfügt die Familie über mehr Einkommen, als wenn eine Person 40 Stunden Erwerbsarbeit leistet. Und mehr Zeit für die Familie bleibt auch.

Es ist übrigens nicht belegt, dass Väter einen Karriereknick erleiden, sobald sie mehr Verantwortung in der Familie übernehmen. Selbst wenn, finden sie leichter wieder einen Job, denn Väter werden nicht gefragt, wie sie Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter einen Hut bekommen. Mütter schon.


Wie kam es dazu, dass für dich das Thema Vaterschaft zur Berufung wurde? Was hat sich in deinem Leben verändert, nachdem du Vater wurdest?

Heiner: Als Sozialpädagoge begleite ich beruflich Menschen durch persönliche Krisen. Es erfüllt mich mit Freude, sie auf neuen persönlichen und beruflichen Wegen zu begleiten. Präventionsarbeit liegt mir ebenfalls sehr am Herzen, weswegen ich als Bildungsreferent viel mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gearbeitet habe. Als ich 2016 Vater wurde, wollte ich vieles anders machen als mein Vater, ohne zu wissen, wie Vatersein überhaupt geht. Schließlich bin auch ich typisch männlich sozialisiert. Es gab keine Literatur zum Thema Vaterschaft und Vätergruppen fand ich in meiner Umgebung auch keine. Auf Spielplätzen traf ich nur Mütter und im Job wurde ich diskriminiert, weil ich lange Elternzeit nehmen und danach in Teilzeit arbeiten wollte.

Auf der ersten Elternzeit-Reise habe ich beschlossen, über diese Erfahrungen zu bloggen und anderen Vätern Mut zu machen. Die ersten Texte drehten sich noch um die richtige Zubereitung des Babybreis oder der Einschlafbegleitung. Mit der Zeit wurden die Texte politischer und Väter wandten sich mit individuellen Fragen an mich. Daraus entstand eine Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund Krefeld und dem Wunsch, mich als Väter- und Organisationsberater selbständig zu machen. Zum Jahresende habe ich meinen Job als Sozialarbeiter gekündigt und werde künftig hauptberuflich selbständig arbeiten. Darauf freue ich mich schon sehr.


Welche Angebote hast du für (werdende) Väter und Unternehmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern möchten? Und welche konkreten Strategien können Arbeitgeber verfolgen, um eine aktive Vaterschaft zu unterstützen?

Heiner: Für (werdende) Väter biete ich Online-Kurse und einen Online Väter-Kreis an. Der große Online-Kurs dauert einige Wochen und beschäftigt sich mit der individuellen Rolle als Vater. Wir reflektieren die eigene Prägung und unsere Vorbilder, erarbeiten Ressourcen und entwickeln unser persönliches Vaterbild. Aktive Vaterschaft und väterliches Engagement stehen hier im Vordergrund. Im Online Väter-Kreis treffen sich alle 14 Tage bis zu 12 Väter im Online-Meeting. Wir sprechen über aktuelle Herausforderungen im Alltag, Rollenerwartungen, Partnerschaftskonflikte und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Daneben berate ich Väter zu individuellen Fragen rund um Vaterschaft, Partnerschaft und Beruf.

In Unternehmen ist Vereinbarkeit von Familie und Beruf leider immer noch ein »Frauenproblem«. Väter kommen dabei kaum bis gar nicht vor und entsprechende Angebote oder Anreize fehlen. Meine Vorträge, Seminare und Workshops halte ich daher zum Thema »Väterorientierte Personalpolitik für gelungene Vereinbarkeit von Familie und Beruf«. Daraus ergeben sich neue Anforderungen, die wir in der Organisation gemeinsam entwickeln. Glücklicherweise erkennen Unternehmen den unverzichtbaren Wert der Väter und wollen neue Angebote schaffen. Auch diese Aufgabe reizt mich sehr.


Foto © Simon Erath
Über Heiner Fischer

Heiner Fischer (38) lebt mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern in Krefeld am Niederrhein. Als Väter- und Organisationsberater begleitet er Väter auf dem Weg zu einer aktiven Vaterschaft und berät Unternehmen in väterorientierter Personalpolitik. Heiner Fischer hat Soziale Arbeit im Gesundheitswesen und Sozialmanagement an der Fachhochschule Kiel studiert. Seit 2014 arbeitet er als Bildungsreferent, Sozialarbeiter und Familienberater für private und freie Träger. Seine Väterangebote finden hauptsächlich online auf seiner Homepage statt. Für Vorträge, Seminare und Workshops in Unternehmen sowie Organisationsentwicklung steht Heiner Fischer ebenfalls zur Verfügung.


Neugierig geworden? Hier geht es lang zur Homepage von Vaterwelten.








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