Bedingungsloses Grundeinkommen: Was würdest du tun, wenn du auch ohne Arbeit genug Geld zum Leben hättest?

Jeden Monat einfach so, ohne Bedingung und ohne arbeiten gehen zu müssen einen festen Geldbetrag erhalten? Klingt für dich zu schön, um wahr zu sein? Oder doch eher nach einem gesellschaftlichen Alptraum, in dem alle nur noch faul und gelangweilt zu Hause auf dem Sofa liegen? Genau diese Fragen wirft das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) auf. Wir haben für dich recherchiert, was genau hinter dieser Idee steckt und ob es wirklich Realität werden könnte.
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von Charlotte Clarke, 14. Juli 2019 um 07:21

Wenige Konzepte zur sozialen Absicherung lösen in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion eine derart heftige Kontroverse aus wie das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Wurde das BGE von den großen Parteien lange nur wenig ernst genommen, wird die Idee aktuell insbesondere im Rahmen der aktuellen Reformierungspläne des umstrittenen Hartz IV-Systems verstärkt aufgegriffen und öffentlich diskutiert.

Zwar gibt es verschiedene Umsetzungsmodelle, die im Kern jedoch eines gemeinsam haben: Jede*r Bürger*in - egal ob Kind, Arbeitslose*r, Rentner*in oder Millionär*in - erhält vom Staat regelmäßig eine feste Geldsumme. Und zwar bedingungslos, ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Kontrolle, ohne Pflicht zur Gegenleistung. Ob man zusätzlich eine bezahlte Arbeit aufnimmt, ist jedem und jeder selbst überlassen.

Doch welche Auswirkungen hätte eine solche Einkommenssicherung auf die Gesellschaft? Fest steht: Das BGE würde für jede*n Einzelne*n eine enorme individuelle Freiheit, aber auch eine große gesellschaftliche Verantwortung bedeuten. Doch wie würden die Menschen mit ihrer gewonnenen Freiheit umgehen? Auf diese Frage gibt es mangels ausreichender praktischer Erfahrungen keine sichere Antwort. Die theoretischen Einschätzungen jedoch könnten nicht kontroverser sein und sind eng mit dem jeweilig vertretenen Menschenbild verknüpft.

Was würdest du tun, wenn kein Zwang zum Arbeiten bestünde?

Ist der Mensch von Natur aus ein Faultier, welches untrennbar mit seinem Sofa zusammenwächst, sobald der äußere Zwang zum Arbeiten verschwindet oder ein Wesen mit einem angeborenen Bedürfnis nach Aktivität, Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und einem Begehren nach Sinn? Vieles spricht für Letzteres und gegen den grundsätzlich antriebslosen Egoisten. Befragt man Menschen, ob sie auch mit einem Grundeinkommen weiter einer Arbeit nachgehen würden, erfährt man, dass sich nur die Wenigsten auf dem Grundeinkommen ausruhen würden. Die meisten geben an, trotzdem arbeiten zu wollen, nur »anders« - vielleicht mit reduzierter Arbeitszeit oder bei einem anderen Arbeitgeber, weil man bei einer Kündigung nun viel weniger Unsicherheit zu befürchten hat. Andere würden wiederum endlich eigene, lang gehegte Ideen für eine Selbstständigkeit wagen, eine Fortbildung machen oder sich verstärkt einer ehrenamtlichen Tätigkeit widmen. Darüber hinaus gibt es neben dem finanziellen Anreiz viele weitere Gründe zu arbeiten, etwa die Zugehörigkeit zu einem Team, Identifikation mit der eigenen Tätigkeit, Selbstverwirklichung, Stolz oder Anerkennung. Und auch der finanzielle Anreiz würde mit einem Grundeinkommen nicht vollständig verloren gehen: 1.000 Euro im Monat würden den meisten wohl nicht reichen.

Und ja, mit Sicherheit wird es auch tatsächlich diejenigen geben, die sich wirklich dauerhaft in die Hängematte legen würden. Die Frage ist, ob angesichts dieser Minderheit das gesamte Konzept, welches das Wohlergehen aller Mitglieder der Gesellschaft enorm steigern könnte, verworfen werden muss? Des Weiteren stecken hinter dem, was uns als »Faulheit« erscheint, in Wirklichkeit oftmals Resignation, Hilflosigkeit oder Trotz. Unsere Kultur ist stark von einem paternalistischen Menschenbild geprägt, welches noch aus dem 19. Jahrhunderts stammt und davon ausgeht, dass Menschen nur dann etwas “Sinnvolles” tun, wenn sie kontrolliert und ggf. bestraft werden. Diese grundsätzliche Misstrauenshaltung reicht von einer sinnlosen Präsenzpflicht im Büro und der Abneigung vieler deutscher Arbeitgeber gegenüber dem Home Office bis hin zu den entwürdigenden Praktiken des Hartz IV-Systems.

Selbstbestimmung statt Überlebenskampf

Das Grundeinkommen hingegen ist eine Art Vertrauensvorschuss, der dem und der Einzelnen von der Gesellschaft geschenkt wird: Die Gemeinschaft traut dir zu, dass du mit deiner Zeit, deinen Stärken und Fähigkeiten etwas Sinnvolles tun kannst. Erst durch den Wegfall von Zwang, Kontrolle und Existenzangst kann sich plötzlich ein Raum eröffnen, der Platz für Fragen und Neugierde lässt: Was möchte ich mit meinem Leben eigentlich anfangen? Aus dem Vertrauensvorschuss kann Selbstvertrauen erwachsen und somit wiederum das Bedürfnis, der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu wollen. Die Bedürfnisse der Menschen um mich herum überhaupt wahrnehmen zu können, setzt jedoch voraus, dass ich nicht permanent mit der Sicherung meines eigenen Überlebens beschäftigt sein muss.

Darüber hinaus hängen in wenigen europäischen Ländern der spätere berufliche Erfolg und Einkommen so sehr von den Startchancen ab wie in Deutschland. Kinder aus sozial benachteiligten Familien erleben sich selbst oftmals vom Beginn ihrer Bildungslaufbahn an als abgehängt und chancenlos. Wer von Geburt an schlechtere Chancen hat, hat es deutlich schwieriger, ein Abitur zu machen, ein Hochschulstudium zu absolvieren und somit einen hoch bezahlten Job zu erlangen (und als Gangster-Rapper werden nur die allerwenigsten erfolgreich). Dies könnte sich mit einem BGE grundlegend ändern, denn mit weniger ungleich verteilten Startbedingungen könnten sich Fleiß und Anstrengung viel eher lohnen und sich eher im späteren Verdienst niederschlagen.

Eine weitere zentrale Frage ist, wie sich ein BGE auf die Arbeitsbedingungen in bestimmten Branchen oder Tätigkeitsfeldern auswirken würde. Was würde passieren, wenn mehr Menschen unethische, ausbeuterische, ökologisch fragwürdige oder gesundheitlich belastende Arbeit ablehnen würden? Sicherlich würden dadurch noch stärkere Anreize gesetzt werden, z.B. körperlich sehr belastende oder extrem monotone Aufgaben zu automatisieren. Für Tätigkeiten, die menschlichen Einsatz erfordern, aber bislang nur gering entlohnt werden, müsste deren Attraktivität z.B. durch eine bessere Bezahlung gesteigert werden. Dies könnte zu einer regelrechten Emanzipation einiger Branchen führen, die bislang gesellschaftlich viel zu wenig Anerkennung erfahren.

Doch Grundeinkommen ist nicht gleich Grundeinkommen

Interessant ist, dass die sehr kontrovers diskutierte Idee des Grundeinkommens sowohl im linken als auch im rechten politischen Lager verstärkt aufgegriffen wird. Dennoch werden die beiden Lager in dieser Idee keineswegs vereint, sondern verfolgen mit ihren Konzepten zum Grundeinkommen gänzlich unterschiedliche politische Ziele. Die Hoffnung einiger linker Politiker*innen ist es, auf diese Weise soziale Ungleichheit zu bekämpfen und die individuelle Freiheit der Bürger*innen zu stärken, wohingegen das rechte Lager vorrangig eine Verschlankung der Bürokratie (anders ausgedrückt: den Abbau von Sozialleistungen), eine Senkung der staatlichen Ausgaben sowie einen Ausbau des Niedriglohnsektors im Sinn haben.

Der Begriff »Grundeinkommen« wird also für eine Vielzahl von Modellen verwendet, die sich in ihren Konzepten zur Finanzierung unterscheiden und vor allem verschiedene wirtschaftspolitische Ziele verfolgen. Daher sollte man sich also stets fragen: Welcher Interessengruppe gehört die Person an, die das Modell vorschlägt? Wie soll es finanziert werden? Stehen eher soziale oder ökonomische Ziele im Vordergrund?

Grundeinkommen für Neoliberale: Das Solidarische Bürgergeld

Stark in Richtung Sozialstaat-Abbau geht der Vorschlag des sog. »Solidarischen Bürgergeldes« Das unter Federführung des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus entwickelte Modell sieht vor, nahezu sämtliche Sozialleistungen (u.a. Arbeitslosen-, Wohn-, Kindergeld, Bafög) zu streichen und jedem Bürger und jeder Bürgerin stattdessen ein »Bürgergeld« in Höhe von 600 Euro auszuzahlen. Darüber hinaus sollen alle sozialpolitischen Regulierungen des Arbeitsmarktes entfallen: Dazu zählen der Kündigungsschutz genauso wie Tarifvereinbarungen und der Mindestlohn. Profitieren würden von einem solchen neoliberalen Modell wohl insbesondere die Unternehmen, allen voran die privaten Versicherungen, die an Stelle der Sozialversicherungen treten würden - zumindest für diejenigen, die es sich leisten könnten. Es wundert also nicht, dass insbesondere die Gewerkschaften gegen derartige Konzepte Sturm laufen.

Das humanistische Modell: Kulturelle Teilhabe statt Existenzminimum

Aus einer völlig anderen, humanistischen Perspektive betrachtet Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette dm und einer der prominentesten Verfechter des Grundeinkommens die Idee. Zwar sieht auch sein Konzept teilweise die Streichung von bisherigen Sozialleistungen vor, allerdings plädiert er für ein Grundeinkommen, welches nicht nur gerade eben das Existenzminimum abdeckt, sondern auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, d.h. auch mal ins Kino gehen, im Restaurant essen oder eine Ausstellung besuchen zu können. Er schlägt dafür eine monatliche Auszahlung zwischen 800 und 1.500 Euro vor. Werner ist überzeugt davon, dass sich mit einem Grundeinkommen mehr Menschen trauen würden, Tätigkeiten aufzunehmen, die ihnen sinnvoll erscheinen. Auf der anderen Seite wäre es weitaus schwieriger, Menschen für die Verrichtung von Jobs zu finden, in denen besonders schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Dafür würden laut Werner soziale Tätigkeiten, die aktuell einen viel zu geringen gesellschaftlichen Stellenwert genießen, etwa Pflege-, Erziehungs-, Bildungs- und Kulturarbeit, aufgewertet und gefördert.

Das finnische Experiment

Finnland startet 2017 den europaweit ersten praktischen Versuch eines Grundeinkommens auf nationaler Ebene. »Bedingungslos« war die Auszahlung in Höhe von umgerechnet etwa 560 EUR pro Person jedoch nicht. Bei den 2.000 Empfänger*innen handelte es sich um zufällig ausgewählte Erwerbslose, deren bisherige Sozialhilfe zwei Jahre lang durch das Grundeinkommen ersetzt wurde. Der entscheidende Unterschied: Diese Auszahlung wurde nicht wie bisher mit dem ggf. nebenbei durch Mini- oder Gelegenheitsjobs hinzu verdienten Geld verrechnet (so wie es auch in Deutschland üblich ist), sondern jeder zusätzlich verdiente Euro durfte behalten werden. Die Aufnahme einer Arbeit war zwar freiwillig, sollte somit jedoch attraktiver werden. Kernfrage des Experiments war, ob es durch Erhöhung des Arbeitsanreizes möglich sein könnte, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Im Fokus stehen bei diesem Modell also weniger die Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und Existenzangst, sondern eher mögliche Kosteneinsparungen durch den Abbau staatlicher Bürokratie und Stärkung des Wirtschaftswachstums. Die Ergebnisse dieses Pilotprojektes werden derzeit wissenschaftlich ausgewertet. Vorläufige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich das Grundeinkommen  positiv auf die Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden ausgewirkt hat, die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt jedoch innerhalb des Versuchszeitraums nicht beschleunigt wurde. Neben dem Grundeinkommen plant die rechtsliberale finnische Regierung eine Reihe weiterer Experimente, um verschiedene Arten der sozialen Absicherung zu testen.

Erste Volksabstimmung zum Grundeinkommen in der Schweiz

Auch in der Schweiz fand bereits eine intensive Debatte zum Thema Grundeinkommen statt. 2016 bewirkte eine Volksinitiative sogar eine landesweite Volksabstimmung. Das Konzept schlug eine Auszahlung in Höhe von 2.500 Schweizer Franken (umgerechnet auf deutsche Verhältnisse ca. 1.100 Euro) vor. Im Gegenzug sollten zwecks Finanzierung Sozialleistungen bis zu diesem Betrag wegfallen. Die Einführung eines Grundeinkommens wurde jedoch von einer Mehrheit abgelehnt. Hauptgrund für die Ablehnung waren Umfragen zufolge Zweifel an der Finanzierbarkeit. Auch die Schweizer Regierung war gegen die Einführung und hatte den Bürger/innen im Vorfeld empfohlen, mit »nein« zu stimmen. Rund ein Fünftel der Wahlbeteiligten (etwa 22 Prozent) stimmten dennoch für das Grundeinkommen, was von der Initiative als Erfolg gewertet wurde. Die Initiative ging ohnehin nicht von einer Mehrheit aus, vordergründiges Ziel war vielmehr die Entfachung einer internationalen Debatte, was ihr angesichts der umfangreichen Medienberichte zweifelsfrei auch gelang. Dabei geht es den Aktivist*innen vor allem darum, allen Menschen ein würdevolles Leben ohne Arbeitszwang und Existenzangst und mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Auch in diesem Konzept soll die Höhe des Grundeinkommens nicht nur die absoluten Grundbedürfnisse abdecken, sondern darüber hinaus in gewissem Maß die Möglichkeit für soziale Teilhabe schaffen.

Ist ein Grundeinkommen überhaupt bezahlbar?

Im aktuellen System erhalten nur diejenigen vom Staat finanzielle Unterstützung, die bestimmte Kriterien einer »Bedürftigkeit« erfüllen, z.B. das Arbeitslosengeld für Erwerbslose oder Wohngeld für Personen mit nachweislich geringem Einkommen. Doch was passiert, wenn plötzlich alle Menschen eine Auszahlung erhalten sollen, die auch noch deutlich über dem Existenzminimum liegen soll? Wie soll das finanziert werden? Die Finanzierungsfrage ist berechtigterweise der wohl am häufigsten geäußerte Zweifel, wenn es um die Überlegung zur praktischen Umsetzung eines Grundeinkommens geht. Dabei gilt es zu beachten, dass die Bedürftigkeitsprüfung und die laufenden Kontrollmaßnahmen mit hohen staatlichen Kosten für die Verwaltungsbürokratie verbunden sind. Diese Ausgaben könnten im Falle einer bedingungslosen Auszahlung an alle Bürger/innen teilweise reduziert werden und zur Finanzierung des Grundeinkommens beitragen. Doch auch hier hängt die theoretische Finanzierbarkeit stark vom betrachteten Modell ab.

Im Falle eines Grundeinkommens, dessen Höhe nur gerade eben für die grundlegendsten Bedürfnisse ausreicht und gleichzeitigem Wegfall nahezu sämtlicher Sozialleistungen - wie etwa beim Solidarischen Bürgergeld oder dem finnischen Modell - könnte dies sogar zu einer nicht unwesentlichen Entlastung der Staatskasse führen. Derartige Konzepte gelten laut ersten Modellrechnungen als theoretisch finanzierbar.

Soll hingegen ein Modell umgesetzt werden, wie es die Schweizer »Initiative Grundeinkommen« oder dm-Gründer Götz Werner vorschlägt, wird es kompliziert. Denn um ein Grundeinkommen auszuzahlen, dessen Betrag deutlich über den aktuellen Sozialleistungen liegt und zudem noch ohne Ausnahme allen Bürger/innen gewährt wird, müsste das System zur Steuer- und Vermögensumverteilung völlig umgekrempelt werden.

Welche konkreten Vorschläge gibt es überhaupt?

Beispielsweise schlägt die »Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen« der Partei »DIE LINKE« eine »Grundeinkommensabgabe« vor, die zusätzlich zur Einkommenssteuer (die als Ausgleich jedoch gesenkt wird) anteilig vom Einkommen abgezogen wird. Zusätzlich soll u.a. eine weitere Abgabe für den Besitz von Immobilien eingeführt werden, die in den »Grundeinkommenstopf« fließt. Grundsätzlich bleibt jedoch bei einem Finanzierungsmodell, welches von der Einkommenssteuer abhängig ist, stets ein Restrisiko: Damit diese Steuern in ausreichender Höhe generiert werden können, dürfte der Anteil der Arbeitslosen im Vergleich zu heute nicht signifikant zunehmen.

dm-Chef Götz Werner sieht in seinem Finanzierungsmodell hingegen den völligen Wegfall der Einkommenssteuer vor: Der Bruttolohn wäre somit genauso hoch wie der Nettolohn. Stattdessen soll das Grundeinkommen durch die Besteuerung des Konsums, d.h. durch eine schrittweise Erhöhung der Mehrwertsteuer (aktuell 7  bzw. 19 Prozent) auf bis zu 100 Prozent finanziert werden. Doch wer soll diese Produkte dann noch bezahlen können? Werner geht dabei von der Grundannahme aus, dass alle Kosten und Steuern, die für die Produktion einer Ware nötig sind, ohnehin bereits im Kaufpreis enthalten sind und von den Endkund*innen indirekt bezahlt werden. Dies umfasst auch die Löhne der Mitarbeiter*innen und somit auch die Einkommenssteuer. Die Summe all dieser »versteckten« Kosten im Kaufpreis beträgt in Deutschland rund 50 Prozent. Würden diese Kosten nun komplett in die Mehrwert- bzw. Umsatzsteuer umgewandelt, bliebe der Kaufpreis genauso hoch wie zuvor. Beispiel:

Produktpreis an der Ladenkasse:                               150 €
Abzüglich der »versteckten« Kosten von 50 %:     - 75 €
Ergibt einen Nettobetrag von:                                    75 €
Nun werden 100 % USt aufgeschlagen:                 + 75 €
Ergibt wieder den ursprünglichen Preis:                   150 €

Weitere Finanzierungsvorschläge umfassen eine Besteuerung des Geldverkehrs, darunter des Handels mit Aktien, Anleihen und Derivaten (Finanztransaktionssteuer). Die »Initiative Grundeinkommen« schlägt z.B. eine »Mikrosteuer« in Höhe von 0,05 Prozent auf Finanztransaktionen vor - damit könne angesichts der enormen Höhe der bewegten Geldsummen ein Grundeinkommen bereits vollständig finanziert werden.

Eine Frage der Gerechtigkeit

Ein von vielen Kritiker/innen des BGE geäußertes Argument betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Diese zu definieren, ist schwierig, da es individuell sehr unterschiedlich ist, was jemand als »gerecht« empfindet.

In unserer Kultur teilen viele Menschen die Vorstellung der »Leistungsgerechtigkeit«. Kurz gesagt: Nur jemand, der etwas »leistet«, hat von der Gemeinschaft auch eine Gegenleistung verdient. Zwar wirkt es auf den ersten Blick plausibel, dass z.B. durch die Höhe der Rente eine Lebensleistung gebührende Anerkennung findet. Kritisch an diesem Prinzip ist allerdings die ungleich verteilte Gewichtung von »Leistungen«: Wie wertvoll diese ist, ist zum einen an eine Erwerbsarbeit gekoppelt - zentrale Tätigkeiten wie Pflege- und Erziehungsarbeit oder auch künstlerisches Schaffen wird hingegen kaum honoriert. Zum anderen werden viele anspruchsvolle Berufsfelder wie z.B. Kranken- oder Altenpflege, gemessen an ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, viel zu gering entlohnt. Erwerbs- und Altersarmut trotz jahrzehntelanger Arbeit sind besonders im Niedriglohnsektor keine Seltenheit und in einer Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, »gerecht« zu sein, nicht akzeptabel.

Eine weitere Betrachtungsweise ist die »Bedarfsgerechtigkeit«, d.h. Menschen, die z.B. auf Grund von Krankheit, Behinderung, familiärer Situation oder anderen Faktoren in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, sollen von der Gemeinschaft mehr unterstützt werden als Menschen, die keine Beeinträchtigung erfahren oder sich in einer guten Ausgangslage befinden. Das BGE wird in diesem Zusammenhang als »Gießkannenprinzip« kritisiert, dass ohne Berücksichtigung besonderer Unterstützungsbedarfe auch diejenigen überschüttet, die keine Unterstützung benötigen: Egal ob Multimillionär*in oder Multijobber*in, alle bekommen den gleichen Betrag. Das bedeutet, um wirklich gerecht zu sein, darf ein Grundeinkommen nicht nur auf eine drastische Kürzung der Sozialleistungen hinauslaufen und dann davon ausgehen, dass alle mit dem Grundeinkommen schon zurecht kommen werden. Menschen mit hohem Bedarf an Unterstützung, die mit dem Grundeinkommen nicht finanzierbar wäre, müssen natürlich zusätzlich zum Grundeinkommen weitere Sozialleistungen beantragen können, die sich nach dem tatsächlichen Bedarf richten.

Und was ist mit den Millionär*innen? Ist es nicht ungerecht, dass sie das Grundeinkommen erhalten, obwohl es für sie keinen nennenswerten finanziellen Mehrwert hat? Führt man sich vor Augen, welchen Anteil der Bevölkerung die Superreichen ausmachen, wird dieses Argument schnell relativiert: Dazu zählen nur etwas mehr als 1 Prozent der Menschen in Deutschland (gemessen am Vermögen). So betrachtet würde ein BGE für eine erschlagende Mehrheit der Bevölkerung zu einer spürbaren Verbesserung der Lebenssituation führen - gemessen am überwiegenden Nutzen für die gesamte Gesellschaft kann somit die »Verschwendung« eines kleinen Anteils des Budgets an Superreiche als vernachlässigbar betrachtet werden.

»Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus«

So formulierte es bereits in den 1950er Jahren die Philosophin Hannah Arendt. Und vieles deutet daraufhin, dass sie Recht behalten könnte. Digitalisierung und Automatisierung sind jetzt schon längst dabei, unsere Arbeitswelt umfassend zu verändern und werden branchenübergreifend weitaus mehr Jobs vernichten, als der IT-Sektor jemals zu schaffen vermag. Das heißt, Produkte und Dienstleistungen können zwar mit immer weniger menschlichen Arbeitseinsatz hergestellt werden, allerdings braucht es eine stabile Nachfrage und vor allem Kaufkraft der Konsument*innen, damit eine Wirtschaft überhaupt funktionieren kann. Ohne ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen könnte es sein, dass wir an alternativen Modellen zur Einkommenssicherung trotz aller Unsicherheiten und Risiken überhaupt nicht vorbeikommen.

Oder, wie es der belgische Philosoph Philippe Van Parijs auf den Punkt bringt »Egal, ob man das Grundeinkommen begrüßt oder verteufelt, wer auch immer nach einer radikalen und innovativen Alternative zum Neoliberalismus strebt, muss sich mit diesem Konzept auseinandersetzen.«

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