Mit eurer App sagt ihr der Lebensmittelverschwendung den Kampf an. Wie genau funktioniert Too Good To Go?
Too Good To Go ist vor allem für die gleichnamige App bekannt. Über die Plattform können gastronomische Betriebe wie Restaurants, Cafés, Bäckereien, Hotels und Supermärkte ihr überproduziertes Essen zu einem vergünstigten Preis für Selbstabholer*innen anbieten. Das nennen wir ganz gerne eine »Win-Win-Win-Situation«: Leckeres Essen zu einem günstigen Preis für die Kund*innen, weniger Food Waste für die Betriebe und vor allem Ressourcenschonung für die Umwelt.
Welche Art von Betrieben bieten bei Too Good To Go ihre überschüssigen Waren an? Welche Vorteile haben sie davon, mit euch zu kooperieren?
Auf der App sind jegliche Arten von gastronomischen Betrieben vertreten: Hotels, Supermärkte, Cafés, Restaurants und Bäckereien. Too Good To Go stellt für die gastronomische Betriebe eine Möglichkeit dar, sich gegen die Lebensmittelverschwendung im eigenen Betrieb aktiv einzusetzen. Denn ganz ehrlich, will kein*e Gastronom*in das eigene Essen in die Tonne werfen. Bei Too Good To Go mitzumachen, birgt aber noch viele weitere Vorteile für die Betriebe. In erster Linie bekommen sie die gebührende Wertschätzung und einen kleinen finanziellen Beitrag für ihre Lebensmittel, die mit viel Liebe und finanziellem Aufwand hergestellt wurden. Auch wird der eigene Laden dadurch bekannter, da er in der App potentiellen neuen Kund*innen angezeigt wird. Und nicht zuletzt kann der Laden nach außen sein soziales und nachhaltiges Engagement zeigen.
Welches Ausmaß hat die Lebensmittelverschwendung in Deutschland eigentlich? Man würde ja meinen, dass Gastronom*innen und Lebensmittelhändler*innen allein schon aus wirtschaftlichen Gründen ihre Warenmengen so klug kalkulieren, dass sie möglichst wenig wegwerfen müssen - schließlich bezahlen sie ja dafür!
In Deutschland landen jährlich 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln in der Tonne. 11 Millionen Tonnen davon sind vermeidbar. Das ist eine ganze Menge. Tatsächlich ist es fast unmöglich, in Gaststätten so genau zu kalkulieren, dass keinerlei Food Waste anfällt. Daher sind Lösungen wie Too Good To Go so wichtig, damit dieses Essen doch noch zu einem*einer Abnehmer*in kommt. Bei Lebensmittelhändler*innen sieht es ähnlich aus. Zumal wir als Konsument*innen auch die Produkte in den Regalen mitbestimmen: Vermeintlich unperfektes Obst und Gemüse wie Single-Bananen oder Äpfel mit Druckstellen werden von der Käufer*innen liegen gelassen oder es wird eher zum Joghurt ganz hinten im Kühlregal gegriffen, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) weiter in der Zukunft liegt. Unperfektes Obst und Gemüse und Produkte mit kürzerem MHD sind einwandfrei verzehrbar und dennoch werden sie nicht gekauft.
Auch weiter vorne in der Wertschöpfungskette landen viele Lebensmittel in der Tonne: beispielsweise in der Produktion. Zu klein geratene Gurken, herzförmige Kartoffeln, zerbrochene Kekse - all das kommt erst gar nicht in die Supermarktregale, sondern wird vorher schon aussortiert und weggeschmissen.
Ist es denn auch wirklich so, dass nur übrig gebliebene Lebensmittel über eure App angeboten werden? Besteht nicht auch das Risiko, dass so manch ein Betrieb Too Good To Go als zusätzliche Einnahmequelle für sich entdeckt und Extra-Portionen ein- und dann wieder verkauft?
Wir besprechen das Konzept sehr genau mit unseren Partner*innen - für sie alle steht das Thema Lebensmittelrettung im Vordergrund. Außerdem würde es sich für die Betriebe wirtschaftlich gar nicht lohnen, extra für die App zu produzieren, da die Portionen ja zu einem stark vergünstigten Preis über die Plattform angeboten werden. Die Portion ist mindestens die Hälfte günstiger als der Originalpreis, in den allermeisten Fällen kostet er sogar nur noch ein Drittel des Preises.
Was passiert, wenn ein Betrieb gegen Ende eines Arbeitstages merkt, dass doch viel weniger übrig bleibt als gedacht?
Unser Konzept ist darauf ausgelegt, flexibel und tagesaktuell überproduziertes Essen anzubieten. Falls ein Laden merkt, dass er weniger übrig hat als gedacht, dann kann der*die Besitzer*in selbständig die Portionsanzahl in der App anpassen - statt beispielsweise drei Portionen kann dann nur eine »Überraschungstüte« angeboten werden. Im Grunde ist es eine erfreuliche Nachricht, wenn ein Betrieb mehr verkauft und damit weniger Food Waste produziert.
Wie geht ihr mit dem Thema Plastikmüll um? Take-Away-Gerichte werden ja in der Regel in Plastikschalen oder ähnliche Einweg-Behältnisse eingepackt, die anschließend im Müll landen. Besteht die Möglichkeit, dass ich meine Bestellung in meine eigene Mehrweg-Box packen lasse?
Wir ermutigen unsere Partnerläden, dass die Kund*innen auch ihre eigenen Verpackungsboxen mitbringen dürfen. Das ist aus ökologischer Sicht natürlich am nachhaltigsten. Wenn das ein Laden nicht möchte, dann können die Läden über uns biologisch abbaubares Verpackungsmaterial beziehen. Sie sind aus Bagasse - ein Nebenprodukt bei der Zuckerrohrverarbeitung.
Die Verringerung von Lebensmittelverschwendung ist gleichzeitig auch Klimaschutz. Könnt ihr kurz grob den Zusammenhang zwischen Lebensmittelproduktion und Klimaerwärmung erklären?
8 Prozent der globalen Treibhausgase sind auf die Lebensmittelverschwendung zurückzuführen. Oder anders gesagt: Wäre die Lebensmittelverschwendung ein Land, dann wäre es auf Platz 3 der größten Treibhausgasemittenten - gleich hinter China und den USA. Bei der Produktion von 1 kg Essen entstehen im Schnitt 2,5 kg CO2-Äquivalente. Wird dieses Essen nun entsorgt, sind zusätzlich umsonst Treibhausgase entstanden und die Emissionen der Müllverarbeitung kämen noch dazu. Bei der Produktion von Essen werden außerdem Ressourcen wie Wasser, Boden und Energie benötigt. Hinzu kommen die Ressourcen von Verpackung und Transport. Das ist alles belastend für die Umwelt.
Da das Problem an jeder Stelle der Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion auftritt, sind wir alle gefordert, mit anzupacken. Anfang des Jahres stellte das Projekt »Drawdown« außerdem die besten Möglichkeiten vor, die UN Klimaziele zu erreichen: Auf Platz 1 ist die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung.
Könnten die angebotenen Lebensmittel nicht auch einfach gespendet werden?
Tatsächlich gibt es viele unterschiedliche Gründe, warum nicht alle Lebensmittel gespendet werden können - beispielsweise aus logistischen oder personellen Gründen oder aus Gründen der Kühl- und Wärmepflicht. Die Lebensmittelverschwendung stellt uns alle vor eine sehr große Herausforderung. Nur wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir dieses Problem lösen. Rund um das Thema Lebensmittelrettung hat sich eine große Bewegung in Deutschland formiert - wir als Social Impact Business sind Teil dieser Bewegung. Entsprechend ist unser Konzept eine Ergänzung zu anderen Organisationen und Unternehmen, die sich ebenfalls für die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung einsetzen.
Mittlerweile bilden zahlreiche Akteur*innen, Vereine, Initiativen und Social Startups eine große »Food Waste Movement« gegen die Lebensmittelverschwendung. Welche innovativen Lösungsansätze finden sich noch in der Bewegung?
Es gibt zahlreiche Ansätze in dieser Bewegung - sie alle sind wichtig und ergänzen sich hervorragend, weil sie an ganz unterschiedlichen Punkten ansetzen. Beispielsweise »Knödelkult«, die Knödel aus gerettetem Brot herstellen oder »Sirplus«, die Rettersupermärkte betreiben und Retterboxen mit Produkten von Produzent*innen anbieten. »Restlos Glücklich e.V.« engagiert sich vor allem im Bereich Bildung. Die Liste lässt sich noch weiter fortführen.
Welche Werte sind euch für eure Zusammenarbeit im Team besonders wichtig? Wie wird Nachhaltigkeit bei euch unternehmensintern gelebt?
Wir bei Too Good To Go stehen alle hinter der Vision und Mission: Wir wollen eine Welt ohne Lebensmittelverschwendung kreieren. Das macht sich auch in unserer Arbeitskultur bemerkbar: Wir geben uns nicht mit dem Status Quo zufrieden, probieren aus und evaluieren, sind offen und transparent miteinander, begegnen uns allen auf Augenhöhe und wollen vor allem eins: Mahlzeit für Mahlzeit die Welt ein Stückchen besser machen.
Intern und abseits der Arbeit ist das Thema Lebensmittelrettung natürlich auch omnipräsent: Wir veranstalten zum Beispiel regelmäßig »Retter-Dinner«: Das ganze Team rettet Portionen, die wir dann bei einem gemeinsamen Abendessen genießen.
In welche Richtung möchtet ihr euer Business in Zukunft weiterentwickeln?
Too Good To Go ist weiterhin auf Wachstumskurs. International wird 2020 ein spannendes Jahr für Too Good To Go: Wir werden sowohl in Schweden als auch den USA an den Start gehen. Aber nicht nur international, auch hier in Deutschland stehen spannende Themen auf dem Plan: Wir werden unser Food Waste Movement auf allen Ebenen - Unternehmen, Politik, Bildung und Privathaushalten - weiter vorantreiben, um noch mehr Lebensmittel vor der Tonne zu retten. Und natürlich unser Angebot in der App noch flächendeckender in Deutschland anbieten.
Über Laure Berment
Laure Berment engagiert sich seit mehreren Jahren für eine bessere Welt. Nach ihrem BWL-Studium in Paris mit dem Schwerpunkt Social Business war sie fünf Jahre als Country Managerin im Sozialunternehmen Marktschwärmer tätig. Hier wurde eine digitale Plattform geschaffen um direkte Vertriebswege für regionale Erzeuger zu ermöglichen und Kunden Zugang zu frischen, regionalen Produkten zu geben. Seit 2019 leitet Laure nun mit vollem Elan das deutsche Too Good To Go-Team. Aber nicht nur beruflich, sondern auch privat achtet sie natürlich darauf kein Essen zu verschwenden. So kommt es, dass sie fast jeden Tag einkaufen geht und auch sonst verlässt sie sich lieber auf ihren Geruchs- und Geschmackssinn als auf das MHD.
Du möchtest mehr erfahren? Hier geht es lang zur Website von Too Good To Go.
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