seinsart Online-Magazin: Interview mit Chefredakteur Nicolas Flessa

Auf der Seite des jungen Online-Magazins seinsart begegnet man einer bunten Vielfalt an Artikeln, die sich dem Sinn und Sein in der modernen Gesellschaft widmen. Die Kernidee ist postmaterialistischer Natur. Das Magazin schafft so Raum für einen Blick auf den Zeitgeist aus der persönlichen Ebene heraus. Hier wird die Frage nach einem geglückten Leben und dem was wirklich zählt aufgegriffen. Es geht darum nachhaltig mit sich selbst umzugehen und sich zugleich als Teil dieser Welt zu verstehen. Gründer und Chefredakteur von seinsart, Nicolas Flessa, stellt im Interview das Magazin und die Idee dahinter vor.
Foto: © Leona Goldstein
von Regina Rohland, 23. November 2015 um 09:23

Foto: © Leona Goldstein
 

Sie haben mit dem seinsart-Magazin ein sehr lebhaftes und vielfältiges Online-Magazin zusammengestellt, das sehr unterschiedliche Themenbereiche aufgreift und zugleich den Fokus auf das Wesentliche im Leben lenken soll. Wie setzen sich die Inhalte zusammen? Und wie suchen Sie die Autoren, die ehrenamtlich für das Magazin schreiben?

Nicolas Flessa: Der Hauptfokus unseres Magazins liegt auf "bewusstem Sein", daher auch der Name seinsart. Es geht uns darum, Bewusstsein zu kreieren - und das sowohl für den Umgang mit den eigenen Ressourcen als auch für den Umgang mit der Welt und ihren zahlreichen Baustellen. Nachhaltigkeit, politisches und soziales Engagement, aber auch - im wörtlichen Sinne - Selbstbewusstsein. Die Autoren finde ich über private Netzwerke, vermehrt aber auch über Gruppen von Gleichgesinnten im Internet.

Ist die Idee für das seinsart-Magazin aus einem persönlichen Moment heraus entstanden?

Flessa: Durchaus. Mir fehlte ein Magazin, das im Sinne der alten Platzhirsche wie DER SPEIGEL wirklich einen umfassenden Blick auf die Gesellschaft und das persönliche Leben wagt - gleichzeitig aber den Sprung, den unsere Gesellschaft gemacht hat, ebenso abbildet. Heute haben wir entweder Nischen- oder Zielgruppenmagazine für "Frauen über 50 mit künstlerischem Interesse" oder "Menschen, die lieber auf dem Land wohnen würden" oder "linke Aktivisten in Berlin-Kreuzberg". Ich wollte ein im besten Sinne des Wortes postmaterialistisches Magazin: jenseits von Konsumgeilheit, Fun-Kultur, aber auch einseitigem Rationalismus, das sich mit der gesamten Gesellschaft beschäftigt und der Frage, wohin wir eigentlich wollen und wie wir ein wirklich sinnerfülltes Leben führen können.

Der Besuch Ihrer Seite erfordert sich dafür Zeit zu nehmen. Das Internet ist ein schnelllebiger Austausch, der wenig Raum zum Verweilen bietet. Wieso haben Sie für Ihre Idee gerade dieses Medium statt das Format eines Print-Magazins gewählt?

Flessa: Mir schwebt bis heute eine Lösung für seinsart vor, die die Vorteile von Print und Internet kombiniert: eine rasch reagierende Online-Seite, die Community-getrieben sehr stark und schnell reagieren kann - auf Trends, Feedback, aktuelle Ereignisse. Und auf der anderen Seite ein Printmagazin, das unserem menschlichen Sinn für Haptik, Genuss und Entschleunigung gerecht wird. Im Gegensatz zum riesigen und stetig wachsenden Markt für Printmagazine ist der Markt an Investoren, die sich für Print interessieren, leider winzig. Sprich: Ohne Geld kein Print. Also haben wir einfach mit dem Teil angefangen, der auch ohne Eigenkapital möglich war: Die Gründung des Online-Magazins. In Print nachzuziehen ist aber nach wie vor unser Ziel.

Das Magazin lebt von tiefgründigen und auch sehr persönlichen Artikeln. Ein großer Pluspunkt, nicht nur für das Design, ist das Fehlen von Werbeanzeigen, die üblicherweise in Online-Magazinen und Blogs zu finden sind. Wie finanziert sich die Seite derzeit?

Flessa: Das Magazin finanziert sich derzeit komplett über ehrenamtliche Arbeit. Das betrifft die Redaktion, aber auch die Autorinnen und Autoren. Dass wir es schaffen, seit etwa einem Monat täglich einen neuen Artikel zu posten und seit dieser Woche sogar zweimal täglich, verdanken wir ganz allein dem Engagement und der Begeisterung unserer stetig wachsenden Community. 

Was wollen Sie den Lesern Ihres Online-Magazins an die Hand geben? 

Flessa: Auf keinen Fall fertige Antworten oder Lösungen. Was wir unseren Lesern vielmehr an die Hand geben wollen, ist die Lust darauf, eigene Fragen zu stellen, eigene Antworten zu finden. Sie dazu anzuregen, die von uns behandelten Themen zu durchdenken, in sich reinzufühlen, bewusster zu werden. Was will ich? Mit wem? Und wofür? In was für einer Welt will ich leben? Wie kann ich meine Gesellschaft positiv beeinflussen? Aber auch: Wie werde ich glücklicher? Dieser Aufruf zur Autonomie ist mir sehr wichtig. Im Grunde ist die Grenze zwischen Lesern und Autoren gar nicht so groß bei seinsart. Der Autor definiert sich mehr über die Fähigkeit, gut schreiben zu können: Das Denken, das Reflektieren, die kritische Neugier und das Hinterfragen verbindet uns hingegen alle gleichermaßen.

Welche Möglichkeiten der Innenansicht und Entschleunigung sehen Sie in unserer getakteten Alltagswelt, die zunehmend von Leistungsprinzipien und Herausforderungen geprägt wird?

Flessa: So absurd das für den Chefredakteur eines Online-Magazins auch klingen mag: Die Grenze zwischen on- und offline wieder klarer zu respektieren und zu ziehen. Wir sind und bleiben analoge Tierchen. Wenn wir unseren nicht-mentalen Bedürfnissen wieder mehr Raum einräumen, haben wir auch im Kopf mehr Platz für kreatives Denken. Dazu gehört es, sich zu fühlen, Stille herzustellen. Ob durch einen Spaziergang ohne Handy im Wald oder durch die Entscheidung, heute Abend mal nicht fernzusehen oder zu browsen, sondern sich wirklich authentischen Erfahrungen auszusetzen. Ein guter Trick, der sich leichter in den "getakteten Alltag" integrieren lässt, sind natürlich auch Praktiken wie Yoga oder Meditation.

Was ist Ihre erste Assoziation zum Begriff Nachhaltigkeit?

Flessa: Als ich in der Grundschule war, habe ich mit ein paar Freunden einen "Umwelt-Club" gegründet. Wir hatten davon gehört, dass immer mehr Tierarten ausstarben und Wälder gefällt wurden. Das machte uns ganz instinktiv wütend. Mein standardisiertes Abendgebet ergänzte ich zu dieser Zeit um den Beisatz »Und bitte mach, dass es allen Menschen gut geht, allen Tieren und der Natur.«. Das fällt mir als Erstes ein, wenn ich an Nachhaltigkeit denke. An diesen tief in uns allen steckenden Impuls, das vorhandene Wunder des Lebens zu bewahren - mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.

Was sind Ihre Vorstellungen, wie sich das Magazin in Zukunft entwickeln soll? Oder gibt es bereits Ideen, das Magazin und den Kreis der Leser zu erweitern?

Flessa: 2016 möchten wir auf jeden Fall eine erste Printausgabe realisieren. Meine eigene Erfahrung als Print-Chef ist: An den Kiosken oder im Wartezimmer zu liegen, in die Handtasche zu passen und irgendwann auf dem Küchentisch oder auf der Couch zu landen, verleiht einem Magazin ungeheuren Auftrieb. Daneben möchte ich perspektivisch natürlich auch irgendwann unseren Autorinnen und Autoren etwas für Ihr Engagement bezahlen können. In Zeiten wie diesen finden wir heraus, wem das, was er schreibt, wirklich am Herzen liegt; so sehr, dass er nicht einmal Geld dafür haben will. Diesen Enthusiasmus will ich irgendwann belohnen können. Und dafür brauchen wir Sponsoren, bis sich seinsart durch Verkäufe, Abos und Kooperationspartner eines Tages von selbst tragen kann.

Nehmen Sie sich selbst die Zeit und besuchen Sie das Online-Magazin seinsart.

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