»Ein Grundstein kritischen Denkens ist die genaue Beschreibung und Analyse der eigenen Wahrnehmung«

Manchmal merkt man in der Zusammenarbeit, dass man über unterschiedliche Dingen spricht oder für Probleme keine griffige Lösung findet. Um Werte, Leitbilder und Strategien entwerfen zu können, die langfristig wirken, ist ein erster Schritt klar von derselben Sache zu reden. Maren Drewes führt mit "Kritisches Denken für Organisationen" Vorstellungen zusammen und baut ein besseres Verstehen unter den Kollegen auf. Ihrer Agentur bietet Beratung, Moderation und Training nicht nur für NGOs an. Mit ihrem kreativen Konzept zeigt sie, was Geisteswissenschaftler jenseits von Bibliotheken und Museen leisten können.
Foto: © Kritisches Denken für Organisationen
von Regina Rohland, 22. März 2017 um 07:32

Foto: © Kritisches Denken für Organisationen
Deiner Agentur hast Du den Slogan gegeben "Kritisches Denken für Organisationen". Erklär uns doch bitte zuerst, was verstehst Du unter kritischem Denken?

Maren Drewes: Ich arbeite gern mit der Definition von Robert Ennis, der sagt: Kritisches Denken sei begründetes, reflexives Denken, das sich auf die Entscheidung konzentriere, was zu glauben oder zu tun sei. Hier kommt es einerseits auf die Bereitschaft an, die eigene Wahrnehmung und Perspektive zu hinterfragen, sich für andere Perspektiven zu öffnen und die ursprüngliche gegebenenfalls zu verlassen. Andererseits geht es aber auch ganz konkret darum, strategisch sinnvoll zu handeln.

Studiert hast Du Philosophie und Kunstgeschichte im Magister. Das kritische Denken ist Dir also im Studium der Philosophie sozusagen ins Blut übergegangen?

Maren: Gewissermaßen! Ich habe mich im Studium ganz klassisch unter anderem mit Argumentation, Logik und Sprachanalyse beschäftigt. Im Studium selbst geht es dabei ja in der Regel „nur“ um die Sache an sich. Aber ich dachte damals schon, dass diese Methoden und das aufrichtige Streben nach Erkenntnisgewinn auch in der ganz normalen Berufswelt außerhalb des universitären Elfenbeinturms einen großen Nutzen haben könnten. Übrigens habe ich ja auch Kunstgeschichte studiert und auch da stelle ich immer wieder interessante Bezüge zu meiner jetzigen Tätigkeit fest. Beispielsweise habe ich da geübt, Kunstwerke möglichst wertfrei zu beschreiben. Das geht natürlich nicht. Aber man kann durchaus lernen, die eigene Wahrnehmung genau zu beobachten und ein Stück weit hinter seine gewohnten Interpretationen und Bewertungen zu schauen. Das ist verdammt schwer und zugleich unglaublich spannend. Ein Grundstein kritischen Denkens ist die genaue Beschreibung und Analyse der eigenen Wahrnehmung.

Heute bist Du Beraterin, Trainerin und Moderatorin, wie ging es also nach dem Studium erst einmal weiter?

Maren: Ich habe zunächst in verschiedenen Organisationen als Kommunikations- und Projektmanagerin gearbeitet, unter anderem in der Kommunikationsabteilung eines internationalen Sozialunternehmens.

Mit Deiner Agentur hast Du für Dich praktisch einen eigenen Beruf geschaffen, indem Du Deine Erfahrungen aus Studium und Berufsleben verbindest. Weißt Du noch wie Du zu der Idee gekommen bist?

Maren: In dem Sozialunternehmen, in dem ich gearbeitet habe, wurde gerade eine neue Kommunikationsstrategie entwickelt. Im Laufe des Prozesses wurde immer deutlicher, dass die Teammitglieder sich über Begriffe, die eine zentrale Rolle in ihrer Vision und Kommunikation spielen sollten, uneinig waren. In dem Fall ging es um die Konzepte "Gerechtigkeit", "Chancengleichheit" und "Menschenrechte", die ja in der Tat sehr umstritten sind. In meiner Magisterarbeit hatte ich mich bereits mit den unterschiedlichen Verständnissen von "Menschenwürde" in verschiedenen Kulturen beschäftigt. Hier wurde mir jedoch vor Augen geführt, wie groß die Unterschiede im Verständnis "großer Begriffe" innerhalb ein und derselben Organisation sein können und welche Konsequenzen damit verbunden sind. Damals entwickelte ich erste Ideen dafür, wie mit dem Ansatz des kritischen Denkens solche Kommunikationshürden überwunden werden können. Dann wollte ich natürlich ausprobieren, ob das funktioniert und habe mich damit selbständig gemacht.

Welche Leistungen bietest Du Organisationen konkret an?

Maren: Also erst einmal muss ich von „wir“ sprechen, denn ich arbeite mittlerweile mit zwei ganz wunderbaren Kolleginnen zusammen. Wir bieten einerseits maßgeschneiderte Formate für Organisationen an, z.B. für die Leitbildentwicklung nach einer Neugründung oder bei einem Wechsel der Geschäftsführung. Oder es geht um die Entwicklung eines Wirkungsmodells oder einer Kommunikationsstrategie. Manchmal werden wir gebucht für die Konzeption und Moderation von Gruppenprozessen, wo es beispielsweise um die Jahresplanung geht oder um interne Kommunikationsprobleme. In diesem Jahr werden wir noch den neuen Bereich Fördermittelberatung in unser Angebot aufnehmen. Das ist die eine, maßgeschneiderte Seite. Auf der anderen Seite bieten wir offene Trainings im kritischen Denken an, um Führungskräften und Mitarbeitern von Organisationen zu zeigen, wie und wobei kritisches Denken ihnen helfen kann.

Foto: © Samantha Dietmar

Wie führst Du die Teilnehmern Deiner Workshops dazu hin kritisch zu Denken?

Maren: Vor allem, indem ich sie dazu ermutige und sie unterstütze, sich immer wieder ihrer eigenen Wahrnehmung – also ihrer Gedanken, Gefühle, erste Eindrücke – bewusst zu werden und sich für die Wahrnehmung anderer zu öffnen und einfach neugierig zu sein. Mit dieser Haltung sind die Methoden als Werkzeuge leicht zu lernen. Ich würde mir wünschen, auf diese Art noch viel mehr Menschen zu erreichen.

Richtet sich das Angebot nur an NGOs, Non-Profit-Organisationen u. ä. oder arbeitest Du auch mit anderen Unternehmen zusammen?

Maren: Die Grenze lässt sich ja gar nicht mehr so einfach ziehen. Und die Kategorien sagen meiner Erfahrung nach leider auch nicht immer so viel über die Nachhaltigkeit oder Gerechtigkeit der Organisation aus. Aber um in den Begrifflichkeiten zu bleiben bin ich tatsächlich im Non-Profit- Sektor gestartet und habe da meine Wurzeln. In den letzten zwei Jahren hatten wir jedoch auch immer wieder Aufträge von Unternehmen aus der Privatwirtschaft. In der Regel sind das solche, die ihre Arbeit an Kriterien wie sozialer Verantwortung, Nachhaltigkeit, oder der Stärkung von Frauen in der Wirtschaft ausrichten.

Welche im Studium erlernten Inhalte und Fähigkeiten kannst Du bei Deiner Arbeit noch nutzen?

Maren: Wie gesagt, sind das vor allem die Fähigkeit zur genauen Beschreibung und Analyse der eigenen Wahrnehmung sowie der Art und Weise, wie wir zu unseren Überzeugungen und Entscheidungen gelangen. Dazu gehört dann zum Beispiel auch das Aufdecken impliziter Annahmen und falscher Schlüsse, wie man es in der Philosophie lernt. Noch grundlegender ist vielleicht einfach meine Lust daran, Mitmenschen zu verstehen und daraus zu lernen. Das heißt, zu versuchen, den Kontext ihrer Aussagen und ihres Verhalten zu ergründen: Wie sieht mein Gegenüber die Welt, damit das, was er sagt und tut, Sinn macht? Ist da vielleicht etwas dran? Was kann ich mit ihren Augen sehen, mit ihrem Körper fühlen, was mir bisher entgangen ist? Wie prägt ihre Geschichte oder ihr Hintergrund ihre Wahrnehmung? Was bedeutet das wiederum für meine bisherigen Überzeugungen?

Haben die Schriften großer Denker und Kunst in Deinem Leben noch einen Platz? Oder vermisst Du es gar nicht im Alltag?

Maren: Es ist wahr, dass es nicht einfach ist, sich Zeit zum Lesen und Nachdenken zu nehmen und dass ich gerne mehr davon hätte als ich habe. Denn Bücher schreien ja meist nicht so laut wie Kunden. Aber ganz ohne Inspiration geht es auch nicht. Die ja übrigens manchmal in ungewöhnlicher Form serviert wird: In Juli Zehs Roman Unterleuten wird einem zum Beispiel großartig vor Augen geführt, wie schwer es ist, die eigene Perspektive als Perspektive zu erkennen, geschweige denn, eine andere anzunehmen.

Hast Du noch einen Tipp für Geisteswissenschaftler, die gerade selbst dabei sind ihre Nische auf dem Arbeitsmarkt zu finden?

Maren: Ich habe den Eindruck, dass viele Geisteswissenschaftler*innen gar nicht wissen, was sie alles können bzw. wie hilfreich sie ihre Fähigkeiten einsetzen können. Es ist diese Übersetzung in außerakademische Berufsfelder, die vielen schwer fällt. Insbesondere wenn sie während des Studiums nicht schon Einblick in den Arbeitsalltag von Organisationen gesammelt haben. Ich würde sie daher zunächst einmal ermutigen, das eigene Können stärker wertzuschätzen. Ansonsten kann ich nur sagen, was für mich funktioniert hat: Erforschen, welche Herausforderungen in dem gewünschten Berufsfeld bestehen, einen Beitrag zu deren Erleichterung erarbeiten, ausprobieren, auswerten (Bringt das etwas? Passt das zu mir?), verbessern, ausprobieren, auswerten, verbessern und diese Schleife immer wieder aufs Neue durchlaufen.

Meine Kollegin Ulrike Schneeberg hat dazu übrigens ein sehr unterhaltsames Buch geschrieben, das jetzt im Mai erscheint. Es heißt Monster zähmen und darin erzählen 25 ehemalige Geisteswissenschaftler*innen, wie sie ihre Nische gefunden haben. Außerdem gibt es dort echt nützliche Übungen, die den Jobeinstieg leichter und befriedigender machen.

Zur Agentur Kritisches Denken für Organisationen von Maren Drewes geht es hier.

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