Solidarisch und ökologisch nachhaltig: Der Gemeinwohl-Bioladen geht mit seinem ungewöhnlichen Konzept ganz neue Wege

Eine Auslage mit buntem Gemüse - von außen sieht der Gemeinwohl-Bioladen in Berlin aus wie ein ganz normaler Bio-Supermarkt. Doch dieser kleine Laden verkauft nicht nur einfach Bio-Lebensmittel, sondern ist gleichzeitig auch Bildungsort und Experimentierfeld für eine zukunftsfähige Ernährungsweise. Alles, vom Einkauf bis hin zur Entscheidungsfindung im Team, orientiert sich an den Werten der Gemeinwohl-Ökonomie. Um richtig durchzustarten, hat der Laden nun eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Welche Pläne umgesetzt werden sollen, erzählt uns Mitgründerin Grit Hallal im Interview.
Photo by Dana DeVolk on Unsplash
von Charlotte Clarke, 25. Februar 2020 um 07:51

Ihr seid der weltweit erste Bio-Laden, der sich zurzeit nach den Standards der Gemeinwohl-Ökonomie bilanzieren lässt. Wie setzt ihr die ethischen Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie (Menschenwürde, Transparenz & Mitbestimmung, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit) in eurer täglichen Arbeit um? 

Grit Hallal: Unser bisheriger Trägerverein, der LernSINN erlebBAR e.V., hat bereits 2014 seine erste Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)-Bilanz erstellt. Nun löst sich der Gemeinwohl-Bioladen heraus und wird 2020 seine erste GWÖ-Bilanz gemeinsam mit LernSINN, Smile, der Akademie für Gemeinwohl-Ökonomie GbR und einem nachhaltigen Finanzdienstleister erstellen. Trotzdem leben wir natürlich auch jetzt schon die Werte der GWÖ in unserem Laden:

Wir sprühen die GWÖ im Laden zu den Kund*innen: Viele kommen zu uns einkaufen, weil wir noch anders sind und mit dem Laden Mut machen wollen, ein Zeichen setzen wollen: Ein anderes Wirtschaften ist möglich, packen wir es gemeinsam an!

Natürlich leben wir bereits beim Einkauf unsere Vision der GWÖ: Wir schauen, woher die Ware kommt. Derzeit haben wir drei GWÖ-Bilanzierte Unternehmen als Produzenten im Laden, nämlich Sonnentor (auch unverpackt), Quartiersmeister und Ökofrost. Das sind uns zwar noch zu wenige, doch wir üben uns in Geduld. Es werden bestimmt bald mehr. Durch diese Zusammenarbeit möchten wir solidarisch und sozial gerecht einkaufen und kaufen bevorzugt regional, saisonal, bio und ökologisch nachhaltig, überwiegend vegetarisch und vegan und - wenn möglich - unverpackt. Und auch dafür lieben uns unsere Kund*innen! Ja, es schmeckt bei uns.

So geht es auch im Team zu: Solidarisch und sozial gerecht - sowohl zu den Kund*innen als auch zwischen uns. Wir üben uns in holakratischen Prozessen, im Konsensieren bei Entscheidungen, Achtsamkeit und gewaltfreier Kommunikation, Kreiskultur bei Teambesprechungen und dem Bilden von Arbeitsgruppen nach Begabungen. Das ist wohl für einen Bioladen schon sehr anders, doch LernSINN ist ja auch ein Verein für Potentialentfaltung: Wir können einfach nicht anders.

Faire Preisgestaltung ist euch ein zentrales Anliegen: Zum einen sollen die Produzent*innen der Lebensmittel fair bezahlt werden, zum anderen soll sich jede*r Bio-Lebensmittel bei euch leisten können. Wie schafft ihr es, dass die Produzent*innen besser bezahlt werden als durch konventionelle Händler*innen, ohne jedoch diese Mehrkosten im Kaufpreis abzubilden?

Grit: Ob wir besser bezahlen können, das wissen wir zur Zeit nicht wirklich, da das Angebot echt niedrig ist an Bio-Gemüse und Obst aus der Region. Gerade bin ich im Gespräch mit einem Bauern aus der Region, der uns beliefern wird: Hier macht er mir ein Angebot. Bio ist auch ein Geschäftszweck, das dürfen wir nicht übersehen: Bio-Großhandel ist aufgeteilt zwischen den Großen und hier Alternativen aufzubauen, braucht Geduld, Beharrlichkeit und das Wissen, das wir in 10 Jahren alle anders Wirtschaften werden. 

Darüber hinaus sind wir gleichzeitig eine Gemeinwohl-Foodcoop (Anm. der Red: private Einkaufsgemeinschaft) und ein Gemeinwohl-Bioladen mit Vollsortiment. Damit sich beides trägt, ist der Bioladen auch für Nicht-Mitglieder der Foodcoop geöffnet. Die Idee der Foodcoop kommt aus den USA und Paris: Jedes Mitglied investiert monatlich seine Zeit (z.B. für den Einkauf oder organisatorische Aufgaben), dafür kaufen Foodcoop-Mitglieder zu besonders günstigen Preisen ein. Eine Gewinn-Orientierung existiert nicht. Erwirtschaftete Gewinne werden - wenn wir soweit sind - wieder in andere Projekte re-investiert. Dass dieses Konzept funktioniert, beweisen die Märkte in den USA: Seit 30 Jahren gibt es dort sehr erfolgreiche Foodcoops mit bis zu 20-30.000 Mitgliedern!

Foto: © Grit Hallal

Nicht nur bei euch in Berlin ziehen regelmäßig Landwirt*innen bei den eindrucksvollen Demonstrationen »Wir haben es satt!« auf die Straße und kämpfen u.a. für bessere Produktions- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. Die Händler*innen halten dagegen und rechtfertigen den harten Preisdruck, vor allem bei Discountern, mit den Bedürfnissen einkommensschwacher Menschen. Wie bewertest du diese Argumentation?

Grit: Nun, wir sollten mal hinschauen, wem der Handel gehört: Die machen satte Gewinne mit den Preisen, darunter leiden die Angestellten, die Landwirt*innen, Produzent*innen und die Kund*innen. Ein Skandal löst hier den anderen ab. Für diese satten Gewinne muss jede*r mehr arbeiten, denn wie alles in der Natur gibt es eine Balance: Wo die Gewinne steigen, wird es an anderer Stelle genommen. Lassen wir die satten Gewinne und Renditen weg, müssen wir weniger arbeiten und können trotzdem gesund leben, was zur Zufriedenheit aller beiträgt.

Ihr bietet bewusst keine Produkte an, die man auch selbst herstellen kann, dafür habt ihr ein besonderes Bedienungskonzept. Wie sieht das aus und welche Vorteile bringt es mit sich?

Grit: Bildung, Bildung, Bildung: Es handelt sich hier vorwiegend um Kosmetik und Haushaltschemie, jedoch auch um Fertigprodukte für Lebensmittel. Wir machen vielleicht gar nicht mehr Umsatz damit, außer bei unverpackten Artikeln. Aber dafür klären wir auf! Dadurch möchten wir Abhängigkeiten beseitigen und mehr Ernährungssouveränität schaffen. Selber Kochen ist Sinnlichkeit und eine andere Art, seinen Körper zu entdecken: Was nährt ihn, was braucht er, was macht ihn zufrieden? Aus unverarbeiteten Lebensmitteln kann ich verschiedene Sachen zaubern, aus Fertigprodukten nur aufwärmen. Dabei verlieren die verarbeiteten Lebensmittel an Inhaltsstoffen. Ich esse bei Fertigprodukten nichts mehr, was mich nährt. Auch bei Bio-Fertigprodukten ist das so: Die Konsument*innen sind die Mülleimer. Ist etwas krass formuliert, doch wozu ist auch bei Bio-Konserven überall Zucker oder Zuckerersatz beigemischt? Damit du süchtig wirst!

Zusätzlich spart das Konzept eine menge Müll und bringt die Menschen in Kontakt: Wir kennen unsere Kund*innen: Rosa meldet sich sogar ab, damit wir uns keine Sorgen machen. Das nennt sich Nachbarschaft. An der Kasse oder auf dem Beipackzettel liefern wir Rezepte mit. Da kommt schon der IT-ler und sagt: »Mensch, der Weißkohl hat toll geschmeckt!« Übrigens ein heimisches Superfood, das nichts dafür kann, wenn man nicht kochen kann: Kochen ist Sinnlichkeit & Kreativität - nur zu!

Ihr bezeichnet euch selbst als »multifunktionalen Bio-Laden«. Das klingt spannend - was bietet ihr außer Einzelhandelsprodukten noch an? 

Grit: Auch hier ist Bildung und Aufklärung ein zentraler Bestandteil unseres Geschäftskonzepts - und wir haben noch viel vor! Wir unterstützen andere beim Gründen und auch beim »Sich-beruflich-ausprobieren«. Darüber hinaus bieten wir auch Workshops u.a. zu Lebensmitteln, ätherischen Ölen, Gemeinwohl-Ökonomie und Co. an.

Wer steckt hinter dem Gemeinwohl-Bioladen und wie hat sich euer Team zusammen gefunden? Welche Vision treibt euch an?

Grit: Die Geschichte des Gemeinwohl-Bioladens begann mit der Tagung »Zeit - das neue Geld« mit Christian Felber im März 2017 in Berlin und dem Veranstalter LernSINN erlebBAR e.V. Verena, die Vorbesitzerin des Bioladens, hat unser Catering für die Tagung gestellt und war seit 31 Jahren die Inhaberin. Jedoch hat sie, wie viele Bio-Pioniere, den Laden aufgegeben. Daher fragte Verena uns auf der Tagung, ob wir nicht einen Bioladen haben wollen: Trotz anfänglicher Skepsis haben wir ihn uns doch angesehen und es war Liebe auf dem ersten Blick. Da war die Idee geboren und der Dampfer nahm fahrt auf: Im Juni 2017 haben wir den Schlüssel übernommen. Zunächst haben wir ein Test- und Trainingscenter für Menschen eingerichtet, die ihre Karriere auf das gemeinwohl-orientiert ausrichten wollen. Und es wurde auch ein Test- und Trainingscenter für uns selbst: Wir probieren neue Formen der Zusammenarbeit aus.

Im Laden kann ein Test- und Trainingscenter mit richtigen Coaches stattfinden. Dieses Coaching gibt es nur bei uns: »ArbeitsSINN (ist) erlebBAR - wenn die Richtigen das Richtige richtig tun«. Das funktioniert schon seit 2014 in Berlin mit über 1.500 Teilnehmer*innen und einer Vermittlungsquote von 75-81 %.

Von Anfang an sollte auch eine Foodcoop entstehen, manchmal dauern Dinge einfach länger. 2018 stürzte das Projekt mit dem Programm der Foodcoop ab. Im Februar 2019 entdeckten wir über den Ernährungsrat Berlin die Supercoop in Berlin. Wir trafen uns und kooperieren seitdem und machen gemeinsam Veranstaltungen. So auch im Mai 2019. Dort kamen Rita und Benno als erste vom neuen Team hinzu. Heute sind wir Team aus 18 Menschen, die sich alle engagieren, gemeinsam etwas tun und sich gesund erhalten wollen. Im Herbst waren wir gemeinsam auf einem Achtsamkeitstraining bei der GWÖ in Italien: Das formt das Team.

Auf Startnext läuft seit dem 18.02.2020 eure Crowdfunding-Kampagne. Was konkret möchtet ihr mit dem Funding realisieren?

Grit: Der Gemeinwohl-Bioladen macht sich vom LernSINN erlebBAR e.V. selbstständig und kauft ihn dem Verein ab: Bea und ich haben mit dem Coaching den Laden bisher querfinanziert, das schaffen wir derzeit nicht mehr, schließlich müssen wir zusätzlich den eigenen Lebensunterhalt durch das Coaching erarbeiten. Daher hat das Team hat beschlossen, den Laden zu übernehmen. Wir kaufen ihn dem LernSINN ab und schaffen eine Foodcoop im Gemeinwohl-Bioladen mit einer soliden und solidarischen Basis.

Mit der Kampagne wollen wir vor allem Foodcooper*innen für unsere Idee gewinnen: Macht mit, lasst uns gemeinsam die Welt ein wenig schöner machen und natürlich auch Menschen zum nachhaltigen Einkaufen bewegen!

 

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft? In welche Richtung möchtet ihr euren Laden weiter entwickeln? Könntet ihr euch vorstellen, irgendwann vielleicht sogar mehrere Filialen zu eröffnen?

Grit: Tja, wir haben einen Traum: In jedem Stadtbezirk einen Gemeinwohl-Bioladen. Alte Handelskultur erhalten, Wissen erhalten und Wirtschaft nicht nur neu denken, sondern tun. Ja, der Traum ist schon im Leben und könnte realisiert werden, wenn wir mehr als 25.000 Euro Finanzierungssumme erreichen. Alle weiteren Details findet ihr auf unserer Startnext-Kampagne.

Glaubst du, dass das Konzept eures Bio-Ladens prinzipiell auch auf andere (Einzelhandels-)Unternehmen übertragbar ist? Welche Rahmenbedingungen müssten gegeben sein, damit ähnliche Geschäftsmodelle flächendeckender realisiert werden?

Grit: Wir brauchen Menschen mit MUT, die es einfach tun. Ich denke, es ist vieles übertragbar, nur für viele noch nicht denkbar, weil sie in den Mühlen von ungeliebten Jobs gefangen sind. Wir werden in 10 Jahren schon über die Gründe lachen, über die wir uns heute Gedanken machen, warum es nicht funktioniert. Alle sagen, es funktioniert nicht - und siehe da, da kommt eine*r einfach und tut es. 



Du möchtest den Gemeinwohl-Bioladen unterstützen? Noch bis zum 30.04.2020 kannst du an der Crowdfunding-Kampagne auf Startnext teilnehmen. Weitere Informationen findest du auch auf der Homepage des Gemeinwohl-Bioladens.



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